Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Cliff Richard and the Drifters: Move It! / Schoolboy Crush 1958 UK-Columbia

Diese Meisterleistung eines 17-Jährigen, die erste Rock’n’Roll-Single Europas, reicht musikalisch sicherlich an das Feinste dessen heran, was Elvis und andere seit drei, vier Jahren in den Staaten gemacht hatten. Einzig dem Umstand der relativen „Verspätung“ mag es zuzuschreiben sein, dass ihr mancherorts nicht der gebührende Respekt gezollt wird. In England aber ist diese Single eine Institution.
Wenn man bedenkt, was wir Deutschen zu der Zeit zustande brachten, ist das doppelt bemerkenswert. Wer z.B. Peter Kraus´ Hafenrock (Jailhouse Rock) aus dem gleichen Jahr kennt, weiß, was gemeint ist. Jene Aufnahme könnte glatt als Parodie von Rock’n’Roll durchgehen, wobei die Hauptschuld nicht einmal der Schlager-Sänger Kraus trägt, sondern die Begleitmusiker, gelernte deutsche Studiomusiker, die einfach nicht in der Lage waren, auch nur annähernd so etwas wie Rock’n’Roll zu spielen.
Ganz anders die hier versammelten Musiker aka The Drifters, die später als Shadows in die Musikgeschichte eingingen. Dabei spielte noch nicht einmal der große Hank Marvin die wahnsinnige Lead-Gitarre hier (er stieß erst später zur Band), sondern ein gewöhnlicher Studiomusiker, Ernie Shears. Dennoch ist nichts zu hören von professioneller Kunstfertigkeit, von seelenloser Fingerflitzerei, das ist gefühlter, gnadenloser Rock’n’Roll. Auch die Rhythmusgitarre gibt in ihrer Unerbittlichkeit keine Ruhe.
Und oben drauf dann die unglaubliche Meisterleistung eines noch 17-jährigen Jungen. Fernab von jeglichem Epigonentum, was bei seiner Verehrung für den King verständlich gewesen wäre, fernab von jeglicher, auf vordergründige Wirkung bedachten Überzogenheit, liefert Cliff hier ein Paradestück an eigenständigem Rock’n’Roll-Gesang ab, das seinesgleichen sucht. Man höre nur, wie er Silben melismatisch verschleift ( alo-o-o-ne, sou-ou-oul), ohne dass es künstlich klingt, sondern einfach nur stimmig und zwingend. Keine Spur von Manier, sondern Rock’n’Roll pur. In der allerersten Liga.
Schoolboy Crush ist eine Ballade, anhand derer sich noch mehr Vergleiche mit kontinentaler Unbeholfenheit anstellen ließen. Aber lassen wir das. Sie war wohl zunächst als A-Seite vorgesehen, aber die Rock’n’Roll-begeisterte Londoner Scene gierte nach Move It und so brach sich auch dort der Wahn seine Bahn!

(·) Die Platte war gleich ein Hit im UK, weshalb sie auch relativ leicht zu bekommen ist, aber nur zu angemessenen Preisen. In Mint für ca. 50 Euro.


The Exciters: I Want You To Be My Boy / Tonight, Tonight 1964 US-Roulette

Kurzfristig ins Programm genommen. DJ Doebeling hat sie am letzten Sonntag in Roots gespielt und ich selber habe diese großartige Platte erst vor 14 Tagen erstanden. Schöner Zufall. Da soll sie doch gleich einmal mit Cover vorgestellt werden, zumal es sich bei der A-Seite um einen derart mitreißenden Floorshaker handelt, dass es eine Schande wäre, ihn nicht gehört oder zur Kenntnis genommen zu haben.
Für unsereinen sind solche Singles der eigentliche Grund des Sammelns. Und niemals werden sie ihre Wirkung auf Samplern wirklich entfalten können, weil ihnen dann die Unbedingtheit und Gnadenlosigkeit der zwei, drei singulären Minuten mit sich allein auf dem Teller verloren gehen.
Und was hier musikalisch abgeht! Schon das Intro ist dermaßen scharf in Szene gesetzt, dass wir den Girls nur noch zu Füßen liegen können. Ein wahnsinniger Drive der Rhythmusgruppe, die Damen singen Yeaaah und Come on baby. Da folgen wir gern. Das Ganze unglaublich stompende 2:20 lang. That’s it!
Die Exciters haben noch ein paar weitere tolle Singles gemacht. Am bekanntesten wohl Tell Him und A Little Bit of Soap.

(·) Der Goldmine-Guide sieht das obige US-Sleeve bei ca. 50 $, die Platte dagegen ist deutlich häufiger. Ich habe beide in wunderschöner Erhaltung für einen Bruchteil über Ebay-Deutschland bekommen.
Edit: Die oben zu sehenden blasenähnlichen Gebilde auf dem Cover müssen auf Moiree-Effekte beim Scannen zurückzuführen sein. Mein Cover ist clean.


The Fortunes: Here It Comes Again / Things I Should Have Known 1965 D-Decca

Now I’m on my own, I walk alone, a heart without a home. Das hört sich nach großem Pop an und so ist es dann auch.
Der Song beginnt majestätisch und viel versprechend mit Pauken und Bläsern. Dann folgt einer der schönsten Tracks des Jahres ´65. Großartig in seiner Theatralik und Songdramaturgie. Das hat zwar noch nicht ganz die Tiefe und Größe der Walker Brothers ein paar Monate später, aber schon sehr viel von ihrem Gestus. Und die kurze, achttaktige Bridge in der Mitte gehört für mich zum Schönsten, was der britische Pop in den Sixties zu bieten gehabt hat. Die Musik steht plötzlich still und eine ziemlich verletzt scheinende Stimme singt: When love walked out, a fire went out inside of me. Dann der Chor: It wouldn’t hide those tears inside of me-e-e.
Oh my Scott, how heartbreaking it is! Wonderful.
Auf der Rückseite soll es dann eigentlich anders zur Sache gehen. Mit kraftvoll ungeschminkter Gitarre und Rockappeal. Aber vertane Liebesmüh, der Song gibt es nicht her.

(·) Die Single bekommt man mit ein wenig Glück noch ganz gut.

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