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Faves #47
Ein Zwischenstopp aus gutem Grund: Die Faves haben ihren ersten Geburtstag.
Rund dreihundert Singles habe ich hier im Laufe des letzten Jahres vorgestellt. Deshalb soll es heute einmal anders zugehen als sonst. Es bekommen Platten ihren Auftritt, die ich nicht besitze und in der Mehrzahl auch sicher nie bekommen werde, weil sie zu selten und zu teuer sind.
Bei der Auswahl ist mir bewusst geworden, wie sehr das 20. Jahrhundert von neuen Medien geprägt war: Film, Schallplatte, Radio und Fernsehen.
Wie der Film nach und nach dem Theater den Rang ablief, so löste erst recht die Schallplatte die komponierte und als Noten vertriebene Musik mehr oder minder komplett ab, was eine ziemliche Umwälzung auf allen Gebieten der Musik zur Folge hatte. Die Schallplatte wurde zum eigentlichen Träger von Musik und bildete als solche eine Einheit mit dem Inhalt. Deshalb war z.B. Heartbreak Hotel nicht einfach ein Track, sondern es war eine Single (und deren Airplay).
Dass Musik und Film in diesem Jahrhundert nun mehr und mehr als Daten-Files daherkommen, dürfte wahrscheinlich ebensolche Umwälzungen zur Folge haben wie jene Neuerungen, die vor ziemlich genau hundert Jahren ihren Anfang nahmen.
Schallplatten sind für mich deshalb (historische) Dokumente, die Achtung und Würdigung verdienen. Files können sie nie ersetzen oder ihre Bedeutung erfahrbar machen, höchstens den Inhalt wiedergeben.
Bei allen folgenden Platten musste allerdings auch ich mich mit solcherart Inhalten begnügen. Dennoch sind mir die Aufnahmen im Laufe der Jahre allesamt ungeheuer lieb und wichtig geworden, und ihre originalen Trägermedien im Laufe der Zeit zu kostbaren Museumsstücken.
Louis Armstrong and his Hot Five: West End Blues / ? 1928 US-Okeh
Noch lieber als diese Platte hier hätte ich Bessie Smith´s St. Louis Blues vorgestellt, davon war aber kein Scan zu finden. War es doch die erste Vorkriegs-Blues-Aufnahme, die mich als 16-jährigen tief berührte. Aber auch die frühe Phase Louis Armstrong´s mit den Hot Five und Hot Seven mag ich sehr.
Der West End Blues ist mir zwischenzeitig jedoch fast genauso ans Herz gewachsen wie die Smith-Aufnahme, vor allem wegen seines unglaublichen Trompeten-Intros, das damals einzigartig gewesen sein muss. So gut oder gar besser hat zu jener Zeit keiner das Horn geblasen. Und später auch nicht viele.
Wie viel Innovation und Klasse stecken in diesen wenigen Sekunden. Von der Spieltechnik, über die Melodieführung bis hin zur endgültigen Abkehr von fassbarer rhythmischer Präzision hat dieses Intro eine musikalische Kraft und einen Flow, der seinesgleichen sucht. Manchmal höre ich es paar mal hintereinander. Im Anschluss daran geht es eher klassisch im New Orleans-Stil weiter, dennoch kommen noch einige schöne Höhepunkte. Earl Hines´ Pianosolo gehört ebenso dazu wie Louis´ Solo kurz vor Schluss. Nenne keiner diese Musik „Dixieland“!
Wie auf dem Scan zu sehen handelt es sich schon um eine elektrische Aufnahme, nachdem in den Jahren davor Musik nur akustisch aufgenommen werden konnte; d.h. sie wurde direkt in einen Trichter gespielt, eine Nadel ritzte die Rillen dann mechanisch in eine Matritze, von der die Masterplatte gezogen wurde. Die elektrischen Aufnahmen ab Ende der 20er klingen dagegen schon ziemlich frisch und recht durchsichtig.
(·) Wie selten diese Platte ist, vermag ich beim besten Willen nicht zu sagen.
Aber vielleicht ein paar Worte zu Schellack-Platten. Das sehr leicht zerbrechliche Schellackmaterial hatte sich nach ersten Versuchen mit Wachs noch Ende des 19 Jhdts./ Anfang des letzten Jahrhunderts als Trägermaterial durchgesetzt und hielt sich bis Ende der 50er Jahre. Ende der 40er kam parallel das Vinyl auf. Die 10″-Schellack-Platten muss man somit als Vorläufer der 45 Rpm-7″ sehen. Ein knappes Jahrzehnt existierten dann beide Formate nebeneinander, bis sich das kleinere Format endgültig durchgesetzt hatte.
Schellacks wurden von Beginn an mit 78 UpM aufgenommen und abgespielt, was in den Anfangszeiten oft eine „Gefühlssache“ war. Die wenigsten frühen Platten sind deshalb wirklich präzise mit 78Upm aufgenommen worden und entsprechend abzuspielen.
Es gab sie in allen möglichen Plattengrößen bis hin zu 14“ Formaten. Durchgesetzt haben sich ab den 20ern die 10“- und die 12“-Platte. Die ganz frühen Schellacks waren noch einseitig bespielt, ab den 10´s dann beidseitig.
Schellacks sind beileibe nicht so selten, wie man denken könnte. Auf jedem Flohmarkt findet man welche. Bei ebay.com gibt es feinste R&B- und R&R-78´s für relativ kleines Geld. Der Versand ist aber nicht unproblematisch, da sie so leicht zerbrechen.
Robert Johnson: Terraplane Blues / Kind Hearted Woman 1936 US-Vocalion
Johnson´s Terraplane Blues hörte ich ca. 1970 zum ersten Mal, in einer Phase, als der gemeine Bluesrock sich überall breit gemacht hatte und Zweitausendeins die ersten Blues-Boxen unter das dt. Hör-Volk brachte. Blues war damals in. Musiker wie Champion Jack Dupree, die McGees etc. waren Stars vieler Festivals. Da erreichte mich über einen CBS-Sampler dieses Lied eines Robert Johnson. Die hohe Stimme, das rhythmisch so aufgebrochene Spiel der Gitarre zogen einen trotz ihrer archaischen Eigenheit sofort in den Bann. Das war Blues, wie ich ihn bis dahin noch nicht gehört hatte. Gleichzeitig so fremd- wie einzigartig und dabei genauso authentisch wie sorgfältig ausgearbeitet.
Der Terraplane Blues hob sich völlig von dem etwas gleichförmigen Einerlei ab, zu dem ich bis dahin Zugang gehabt hatte. Und Robert Johnson in den Folgejahren mehr und mehr als höchst eigenständigen Musiker mit ganz eigener Musiksprache und letztendlich Urvater vieler Nachgeborener zu entdecken, war eine große Freude und wahrlich keine Archäologen-Arbeit.
Kind Hearted Woman ist musikalisch gesehen dagegen eher ein klassischer Blues, der dennoch mit so vielen Feinheiten aufzuwarten weiß, dass diese den Hörer den ganzen Song über in Bann zu ziehen wissen.
Einer der ganz, ganz Großen. Und eine seiner besten Aufnahmen.
(·) Robert Johnson´s Vermächtnis ist mehrfach auf Vinyl wiederveröffentlicht worden. Die Originale gehören im Blues-Sektor zum Gesuchtesten überhaupt. Kaum etwas noch im vierstelligen Bereich, wenn ich richtig informiert in. In bester Erhaltung versteht sich.
Jackie Brenston: Rocket “88” / Come Back Where You Belong 1951 US-Chess
Rocket „88“ sei die Geburtsstunde des Rock´n´Roll gewesen, meinte Sam Philipps, in dessen Memphis Recording Service dieser Song im März 1951 aufgenommen wurde. Und er muss es ja wissen, da er drei Jahre später eine weitere mit zu verantworten hatte. ;)
Ich denke, es ist relativ müßig darüber zu spekulieren, was denn nun am Anfang stand. Die neue Musik lag in der Luft und es gibt sicher einige Aufnahmen mehr, die dieses Etikett für sich in ähnlicher Weise beanspruchen könnten wie Rocket „88“. Dennoch ist es eine tolle Platte.
Mit einem unglaublichen Stomp, einem wahnsinnig pumpenden Bass rollt der Rocket „88“, eine Hommage an ein damals neues Oldsmobile-Coupe, über den Highway. Das Intro gibt das atemberaubende Tempo vor und dann folgen einige der schärfsten frühen Sprechgesangszeilen, die ich kenne. Kein Rap, kein Talking-Blues. Der Mann redet einfach los und findet erst nach einigen Takten das Tempo der Band und ihren Rhythmus. Das Ganze ist so unglaublich cool synkopiert, dass es mich immer wieder begeister. Ab der zweiten Strophe betont J. Brenston dann etwas “richtiger“, dennoch behält der Song den mächtigen Drive über seine gesamte Länge.
Als Autor ist der Sänger und Saxophonist selbst angegeben, in Wahrheit soll aber der damals 17-jährige Ike Turner dahinterstecken, dessen Band Brenston auch begleitet mit Ike am Piano.
Nicht von ungefähr nahm Bill Haley diesen Song kurz vor seinem Durchbruch mit Rock Around The Clock ebenfalls auf. Ich habe diese Aufnahme als durchaus gut in Erinnerung, hatte sie mal als Schellack. Haley wusste offensichtlich sehr wohl, was er machte und wollte, auch wenn ihm Elvis dann natürlich nicht nur ein paar Jährchen voraus war.
(·) Diese Schellack ist dann und wann im deutlich dreistelligen Bereich noch zu bekommen. Ein ca. 1955 veröffentlichtes 7“-Release allerdings eine der All Time-Raritäten. Höchstens eine Handvoll sind bekannt. Fünfstellige Summen werden locker bezahlt.
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