Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Virna Lindt: I Experienced Love / Trailers From ‘Shiver’ 1984 UK-act
Blond. Schwedin. Zartes Stimmchen. Da schmilzt mein Ohr dahin und die Hörnerven mögen auch mal etwas nachsichtiger sein. Aber dafür ist hier kein Grund vorhanden.
Virna Lindt ist schlau, sie spielt mit der Musik. Alles ist irgendwie gekünstelt und dennoch von wunderbarer Wirkung. Girl-Pop in die Post-Moderne transferiert. Etwas anders als Blondie, die sich ja noch eher gängiger Pop-Muster bediente, holt Virna Lindt musikalisch noch viel weiter aus und ist deshalb auf ihre Art recht einzigartig, aber immer gefällig und dennoch nie ohne Haken. Ich weiß gar nicht, warum man im Zusammenhang mit ihr das Wort „Kitsch“ benutzt hat, jedenfalls habe ich es früher mal gelesen. Sie ist definitiv keine Kitsch-Chanteuse.
On my travelling expenses I experienced love. Auf der Basis eines leicht reggae-angehauchten Rhythmus legt sie mit dem Titelstück in knappen Worten Zeugnis von ihren Reisen in die Landschaften der Liebe ab. Kühl und gelassen, ruhig und überaus distanziert.
Die ausgesprochen feine eigene (!) Produktion mit vielen kleinen Ideen lässt dieser Platte (und dem zugehörigen Album Shiver) schon einen Ausnahmerang zukommen.
Und irgendwo passt in diese uneigentliche Kühle dann auch die Rückseite, die ziemlich unverfroren einige Ausschnitte aus der LP einfach aneinander schneidet. Man kennt das von „Klingenden Hörproben“ aus den 50s und 60s. Hier aber scheint es künstlerisches Programm. Lindt nimmt ihren Songs die Bedeutung, sie zerstückelt sie, macht sie beliebig, dennoch bleiben sie erkennbar und wertig und ergeben auf einer anderen Ebene ein neues Ganzes.
Sicher ist dies keine ganz große Single, keine, die man unbedingt haben muss, aber mir war es wichtig, Virna Lindt auf diesem winzigen Terrain hier mal wieder eine Bühne zu geben. Kommentare gern erbeten, die sie noch mehr zu würdigen wissen.
(·) Ihre Platten sind nicht häufig, aber es sucht sie offenbar auch kaum jemand.


The Fourmost: A Little Loving / Waitin’ For You 1964 UK-Parlophone

Merseybeat par excellence.
Hier ist vielleicht einmal Gelegenheit daran zu erinnern, dass es ja der so genannte Merseybeat war, der den Beatboom auslöste. Die Musik jener Bands also, die in Liverpool am Mersey zu Hause waren, und es waren derer unglaublich viele, neben den Beatles die Searchers, Billy J. Kramer & The Dakotas, Merseybeats, Gerry & The Pacemakers, Ian & The Zodiacs, Swinging Blue Jeans, Fourmost etc.
Diese Musik hatte sich Anfang der 60er entwickelt aus dem R&R (gab es neben Billy Fury nicht auch noch andere wichtige Liverpooler Rocker?) und eigenen Varianten melodiös gestrickter Songs, wie sie die Beatles (aber nicht nur sie) mit ihren ersten Singles vorgemacht hatten. Es war eine neue Form von Band-Musik, an der alle Mitglieder ihren Anteil hatten.
Am Rande: Neben dem Merseybeat hatten sich zur gleichen Zeit im UK , wie man weiß, die mehr R&B-orientierten Bands wie die Rolling Stones, Yardbirds, Pretty Things etabliert.
Der Merseybeat ist in seiner Unbekümmertheit und fast naiven Spielfreude eine wahre Fundgrube für den Entdeckungsreisenden in Sachen Musik, und er wird immer belohnt.
Zum Beispiel mit dieser Platte. Sie war ein kleiner Hit auf der Insel und auch hier nicht ganz unbekannt. Ich hatte sie jedenfalls im Ohr, als ich sie in den 70ern zum ersten Mal ergattert hatte. Das Titelstück sprüht förmlich über vor Drive und Lebensfreude. Es hält musikalisch genau das, was der Titel verspricht, ein fröhlich verspieltes little loving. Merseybeat-typische mehrstimmige Vocals, einfache Begleitung, etwas Gitarre, der Rhythmus straight forward. Herrlich.
Die Flipside ist etwas langsamer, aber ebenso gut. Und, man muss es mal sagen, die Songs der Beatles waren nicht besser, sondern die Fab hatten einfach mehr davon und haben sich schneller weiter entwickelt. Wohin das geführt hat, ist bekannt. Nach wie vor sehe ich das aber nicht unbedingt als Nachteil der Fourmost! ;)

(·) Eine dt. Pressung gibt es nicht, UK-Pressungen sind leicht zu bekommen.


Belle and Sebastian: Lazy Line Painter Jane / You Made Me Forget My Dreams 1997 UK-Jeepster

I confess: Ich bin ein Spätbekehrter. Ich habe sie damals nicht hören wollen, ich habe sie nicht gekauft, als sie die Bühne betraten, und heute halte ich diese Single für eine der schönsten der 90er. So ändern sich die Zeiten, so kann es gehen.
Welch ein Song (Vorsicht! bitte mit 33Upm abspielen, ist nicht schön, wenn einem die ersten Takte verleidet werden) über die Starre und das Leben, über die unendlich langen Sekunden des Alltags und die wahnsinnige Leere, die nach etwas Liebe sucht. Am Ende heißt es You will have a boy tonight on the last bus out of town. Ja, irgendwie geht es weiter. Der Text richtet sich direkt an eine Lazy Jane, wie eine Aufmunterung, ganz liebevoll, ganz verständnisvoll. Und wie genial ist das dann alles in Musik umgesetzt. Der Schluss, der ja wieder aus der Stadt wegführt, wieder hinein in den öden Alltag, wird musikalisch hymnisch wie ein Sieg gefeiert. Auch hier sind die musikalischen Mittel einfach bewundernswert. Nichts Überproduziertes, einfachste Strickmuster, eine Wahnsinnsorgel, das Ganze in seiner Schlichtheit unglaublich wirkungsvoll und auf unspektakuläre Weise ganz einfach wahr. Grandios.
Sehr schön auch der zusätzliche Lazy Jane-Text, der auf dem Single-Sleeve abgedruckt ist.

(·) Man bekommt die Single noch, wenn auch schon etwas teurer.

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