Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Bobby Charles: “Later Alligator” / On Bended Knee 1956 US-Chess

Bobby Charles (Guidry) hatte Later Alligator in New Orleans für Chess aufgenommen, nachdem er Leonard Chess den Song am Telefon vorgesungen hatte. Die Single war kaum auf dem Markt, da machte Bill Haley daraus für sich seinen zweiten Million-Seller nach Rock Around The Clock. Und als Bobby Charles dann endlich nach Chicago kam, um Weiteres für Chess aufzunehmen, und Leonard Chess seiner angesichtig wurde, begrüßte er den ankommenden Südstaatler mit einem fassungslosen “Motherfucker”. Denn vor ihm stand ein blonder, blauäugiger, gerade mal 18-jähriger Junge, wo er doch nach allem, was seine Ohren zu hören bekommen hatten, allemal einen Schwarzen erwartet hatte. Damit hatte Chess einen Weißen mehr im Haus. Neben Dale Hawkins zählten die geschäftstüchtigen Firmengründer natürlich ebenso dazu.
Bobby Charles nahm Later Alligator mit seinen Band-Kollegen sehr reduziert, sehr New Orleans-mäßig auf. Die Rhythmusgruppe pumpt straight ihren Beat, Bobby Charles singt den Song mit leicht rauer Stimme, der man die Jugendlichkeit nun wahrlich nicht anhört. Der Titel muss damals leicht frech gewirkt haben. See you later alligator! After while Crocodile! Ja, so verabschiedeten sich wohl die coolen Boys voneinander. Klasse.
On Bended Knee ist eine Ballade, die sicherlich musikalisch keinen vom Hocker reißen kann, aber mich in ihrer archaischen Einfachheit beinahe genauso fesselt wie die A-Seite.
Dass Bobby Charles auch später noch tolle Musik gemacht hat, steht da und dort in anderen Threads hier im Forum. Unbedingt beachten.

(·) Die US-Single auf Chess ist dann und wann noch zu bekommen, ebenso die Schellack-Ausgabe. Die 7“-UK-Edition auf London zählt zum rarsten und gesuchtesten, was der dortige Katalog hergibt. Der Rare Record Price Guide des Record Collector sieht sie bei 2600 Pfund. In relativ schlechtem Zustand ging sie vor einigen Monaten für 1000 Pfund weg, also offensichtlich kein Fantasiepreis.


Lou Reed: Vicious / Walk On The Wild Side 1972 D-RCA

1969, als ich es zum ersten Mal hörte, haute mich I’m Waiting For The Man von den Velvets derart um, dass ich auf einen Schlag resistent wurde gegen den aufkommenden Hard-Rock und anderen musikalischen Unfug, der sich zu dieser Zeit Platz in den Regalen und im Radio verschaffte. Diese unglaubliche Wirkung konnte Lou Reed´s LP Transformer 1972 natürlich nicht mehr auf mich haben, musste sie ja auch nicht. Aber die Platte führte die alte Velvets-Ästhetik auf eine eigene Art sehr konsequent fort, weswegen ich sie damals sehr geliebt habe. Es war die LP, nicht diese Single. Die ging damals bei uns ziemlich unter, obwohl sie die beiden besten Tracks enthält, die Transformer zu bieten hatte.
Vicious kann in direkter Linie der alten Velvet-Sachen gehört werden. Emotionsloser Gesang, kalt wirkende Arrangements, gleichförmige Bewegung, dennoch ein ganz toller Song mit vielen kleinen musikalischen Feinheiten, die sich Reed und seine Produzenten David Bowie und Mick Ronson ausgedacht hatten. Aber welch ein Unterschied zu der Mott The Hoople-Single. Hier präzise Schärfe, Klarheit, Distanz, Raum, während es dort etwas eng und dumpf und undurchsichtig zuging. Diese Bowie-Clique brachte zu jener Zeit schlichtweg Geniales zustande.
Mit Holly, Candy, Sugar Plum etc. betraten dann, mit einen paar sparsamen verbalen Pinselstrichen portätiert, Typen die Popszene, die von nun an ihr fester Bestandteil werden sollten. Walk On The Wild Side war schon nach kurzer Zeit ein Klassiker. Eine geradezu unglaubliche Produktion. Selten hat der Bass eine solch tragende Rolle in einem Stück gespielt, selten gab es so wenig vordergründiges Arrangement, welches dennoch derart dicht und zwingend war, dass man sich seiner Wirkung nicht entziehen konnte.

(·) Im UK kam die Single bis auf Platz 10, bei uns wurde sie übersehen, ist deshalb mit dem schön gemachten Cover recht gesucht. Jedenfalls ging letztens bei ebay ein eher schlecht erhaltenes Exemplar für 30 Euro weg.


Otis Redding: I’ve Got Dreams To Remember / Nobody’s Fault But Mine 1968 D-Atlantic

Welch eine herzzerreißende Aufnahme, welch ein verlassenes Herz, welcher Schmerz. Logisch, Otis schrieb den Song zusammen mit seiner Frau. ;)
Im Jahr seines Todes aufgenommen kam diese Single erst posthum heraus und enthält für mich seine schönste Ballade. So sehr ich I´ve Been Loving You Too Long liebe, aber diese so ungekünstelte, wie unglaublich wirkungsvolle Aufnahme toppt sie dann wohl doch. Hier stimmt einfach alles: Eine wunderbar einfache Melodie, die exakt den Seelenzustand des Verlassenen widerspiegelt, endlos traurig und kraftlos schön. Ein Arrangement, das ihr kaum nachsteht.
Es grenzt für mich nach wie vor immer an ein kleines Wunder, wie diese Crew aus Berufsmusikern (Cropper, Booker T, Dunn…), die ja oft im Stundentakt mehrere Tracks am Tag aufnahmen, solch seelenvolle Aufnahmen hinbekam. Wahrscheinlich haben sie sich gar nicht mal viel dabei gedacht, sondern einfach nur gemacht. Allerdings hatten sie ein untrügliches Gespür dafür, was gut war. Wie Otis.
Die Flipside geht schon ganz leicht in Richtung Funk, eher selten bei Otis. Der Song taugt nicht allzu viel, aber stellenweise ist ein guter Bass zu hören.

(·) Otis-Singles sind bei uns nicht sonderlich selten, bis auf die allerersten, die dann auch schon mal etwas teurer sind.

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