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choosefruitDie Aufnahmen aus „Chet Baker Sings“ waren nicht nur mein erste Kontakt mit Chet Baker, sondern zugleich auch der Türöffner zur Jazzwelt. (…)
Das ist sicher eine der Platten, die in die Kategorie „Ich mag keinen Jazz, aber das gefällt mir“ passen. Was ihre Klasse aber nicht im geringsten mindert.
gypsy tail windNein, nicht nur mit den Schultern gezuckt sondern reagiert wie manche auf Fingernägel auf Wandtafeln reagieren.
Chet Baker und Fingernägel auf Wandtafel ist ein Vergleich, der mir niemals in den Sinn gekommen wäre. Süßer Wohlklang auf der einen Seite und kreischende Attacke auf Trommelfell und Nerven auf der anderen. Ich vermute eher, das viele Jazz-Nerds die Nase gerümpft haben angesichts und -gehörs dieses hübschen vermeintlichen musikalischen Dünnbrettbohrers.
gypsy tail windDer Verweis auf Elvis ist interessant, irgendwie … geht natürlich dann wieder um Hautfarbe, um Vorbilder – da ist Chet aber komplett anders: so weiss wie ein frisch geweisstes Haus auf Santorini. Während die Sache bei Elvis ja anders aussieht … aber der Pop-Appeal, das Image, die Photos etc., da passt es schon, an Elvis (und natürlich James Dean) zu denken.
War bloß so eine Idee. Aber die beiden tauchten etwa gleichzeitig auf (wie auch James Dean), sie verkörperten ein neues männliches Ideal, sie sind Pop-Ikonen und im Leben aller drei gibt es diese Tragik. Natürlich gibt es da auch Unterschiede, aber die Ähnlichkeiten finde ich interessant.
vorgartenich habe gerade bei den beiden auch nie verstanden, wie subversiv oder stromlinienförmig sie damals gewirkt haben. war baker eher boy next door und also die art von jazzmusikern, mit denen auch mittelklassetöchter ausgehen durften, oder reichte das „junge mit problemen“-image, der ausstieg aus der anpassung an die kapitalistische männlichkeit schon, um ihm einen rebellenstatus und damit eine gefährlichkeit zuzugestehen? und wurde elvis‘ performance damals wirklich als obszön wahrgenommen, oder war die nicht eher eine domestizierte version von anarchistischen showmännern wie little richard usw.? vielleicht ging es bei beiden darum, dass sie beides ausstrahlten, gefährlichkeit und konformität (bzw. das potential, gefährlichkeit in bürgerliche bahnen zu lenken); und der diskurs über männliche schönheit war in den westlichen gesellschaften damals ja noch relativ neu …
Da machst Du ein großes Fass auf.
Sam Phillips von Sun Records soll gesagt haben: „If I could find a white man who had the Negro sound and the Negro feel, I could make a billion dollars.“ Der Mann wusste, wovon er redete, hatte er doch sowohl schwarze als auch weiße Musiker in seinem Stall und kannte das Geschäft zu Zeiten der Rassentrennung. Aber eben auch das Potential, das musikalische Hybride in einem bunten Kessel wie Memphis hatten. Es sind ja oft die Modelle, die das Wilde mit dem Zahmen, den Bildersturm mit dem Diskussionsangebot und das Schwarze mit dem Weißen zu verbinden verstanden, die sich am Ende durchsetzen. Eine ähnliche Diskussion gab es auch in Zusammenhang mit Prince. Der Anarchist wird sich nicht durchsetzen sondern bleibt in seiner Nische kleben, oder – um es umgekehrt mit Herbert Wehner zu sagen: „Wer mit 20 kein Anarchist gewesen ist, aus dem wird nie ein guter Demokrat.“
Aber natürlich habe diese 2 Minuten Elvis die Welt geshooked!
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)