Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Faves #35


Sam Cooke : Shake / A Change Is Gonna Come 1964 US-RCA (Abb: US-RCA 1967)

Auch wenn Vaclav Havel den konkreten Einfluss von VU´s White Light White Heat auf die politische Entwicklung seines Landes nicht genug zu rühmen weiß, so bleibt es doch Spekulation, wie und in welchem Maße Musik (oder Kunst oder Literatur) Einfluss auf die Weltgeschichte gehabt haben mag. Wenn allerdings ein Jahrzehnt für die Überprüfung solcher Zusammenhänge in Frage käme, wären es am ehesten die 60er Jahre. Doch auch dort wird man kaum mehr feststellen können, als dass Musik mal unterstützend, mal führend, mal kommentierend die Zeitläufe begeleitet hat. Ein schönes Beispiel dafür ist die oben abgebildete Platte.
Sam Cooke´s letzte Single erschien 1964 kurz nach seiner etwas mysteriösen Ermordung durch eine Motel-Managerin. Die Platte enthielt zwei seiner besten Songs, zum einen das grandiose, schon beinahe funkige Shake, von dem es unendlich viele Covers gibt. Dann aber auch das weitaus bedeutendere A Change Is Gonna Come. Cooke´s Blowing In The Wind, Cooke´s Beitrag zur Bürgerrechtsbewegung.
Auf den ersten Blick enthält der Song kaum eine Kritik an realen gesellschaftlichen Zuständen, keinen Aufruf zu konkretem politischen Handeln. Eher beschwörend singt er immer wieder von einer Veränderung, die kommen werde. Völlig offen bleibt dabei, wie sie denn kommen könnte. Bis Cooke irgendwann sehr deutlich wird und mit dem Finger auf seine schwarzen (?) Landsleute zeigt: „Then I go to see my brother and I say brother help me please. But he winds up knockin‘ me back down on my knees.” In diesem fehlenden Zusammenhalt sieht er den Hauptgrund für die gegenwärtigen Zustände und gleichzeitig die Basis für eine Veränderung.
Das Ganze ist verpackt in eine Musik, wie sie Hollywood mit seinen besten Scores kaum wirkungsvoller hinbekommen hätte. Keineswegs geht damit aber eine Glättung oder Verharmlosung einher, sondern eine kaum erklärbare und ganz wundersame Vertiefung. Sam Cooke´s Stimme wirkt eindringlicher und beschwörender als jemals zuvor.
So wird aus diesem Song ein musikalisches Monument, das einen tiefen, schon quasi-religiösen Glauben an eine Veränderung zum Guten erkennen lässt, der sich einzig und allein auf der humanistischen Grundannahme stützt, dass Solidarität die eigentliche fundamentale Aufgabe der Menschheit ist, gleichzeitig eine derart unbezwingbare Macht, dass sich auf dieser Basis die Welt zum Guten ändern muss. Das We Shall Overcome der Schwarzen.
(·) Die oben abgebildete Single dokumentiert wunderbar eine Verschränkung von Musik und Gesellschaft. Im Juli ´67 hatte es in den USA zunächst in Newark, dann in Detroit die bis dahin schlimmsten Rassenunruhen mit fast hundert Toten und Tausenden von Verletzten und Inhaftierten gegeben. RCA brachte dann diese Single als reine Radio Station-Copy heraus, als Aufforderung an die DJ´s, den Song in diesen blutigen Tagen der Veränderung wieder öfter zu spielen. Beide Seiten sind titelgleich. Diese Platte ist dementsprechend nicht allzu häufig, die Original-Single etwas leichter zu bekommen.


Beth Gibbons & Rustin Man : Tom The Model / Tom The Model (live) 2002 UK-Go Beat

Mit „Portishead meets Talk Talk“ kam die Gibbons/Man-LP Out Of Season vor drei Jahren in die Läden. Tom The Model war die Single zum Album. Es konnte mit einer eingängigen Melodie aufwarten und wurde wohl deshalb ausgewählt. Gleichzeitig zeigt der Song aber auf kleinem Raum sehr schön die wunderbare musikalische Arbeit der beiden. Sehr fein austarierte Sounds, die sich überlagern (das in der Tradition von Talk Talk) bei gleichzeitiger Offenheit im Songwriting mit sehr schönen Vocals.
Spannend wird die Single zudem durch ihre Live-Rückseite, bei der auf elektronische Sounds weitgehend verzichtet wurde. Hier müssen Gitarre, Keyboard (es ist wohl kein echtes Harmonium da auf der Bühne) und Drums die Studioideen realisieren und das gelingt ausgesprochen gut. Wenn moderne Keyboard-Elektronik so songdienlich und sparsam eingesetzt wird, bekommt man geradezu Lust auf mehr.
(·) Wie fast alle 7“ aus den letzten Jahren wohl nur in kleinerer Auflage erschienen.


Blondie : X Offender / Man Overboard 1978 D-Chrysalis

Habe mir diese erste Blondie-Single damals leider nur Second Hand gekauft, wie man an dem wol oben leicht sieht. So etwas würde mir heute nicht mehr passieren.
Sie ist mir Blondie´s liebste. Eine ganz großartige Platte mit allem, was Blondie damals ausmachte. Bezwingender, aber durchsichtig lockerer Drive mit zupackendem Beat, klasse Melodien und Debbie Harry´s Stimme, die so ganz leicht belegt klingt, waren damals musikalisch eine neue Welt. Es fehlte jeder Rockappeal, es war weder Punk, noch Rock, sondern etwas wunderbar Neues mit einer Sängerin, auf die man im Grunde schon ewig gewartet hatte: New Wave mit einer Art Marilyn des Pop.
Die Rückseite des Single-Sleeves beschreibt es so: „Wenn man sich einen riesigen Trichter vorstellt, in den man die Musik der SHANGI-LAS-THE VENTURES-CHRYSTALS (sic!)-RONETTS(!!) plus einer Prise BEACH BOYS hineinschüttet, kräftig schüttelt (den Trichter?) und mixt, als Endprodukt käme dabei BLONDIE heraus.“
(·) Es gab wohl zwei Ausgaben dieser Single. Da müssen aber jetzt Tops oder Mikko weiterhelfen. Über die erste Auflage (ohne den Musikladen-Aufdruck und ohne den Text auf der Rückseite) weiß ich nämlich nicht Bescheid. War sie nicht auf dem Red Star-Label, wie auch die erste Suicide-LP? Beide Ausgaben sind nicht allzu häufig, die andere aber wohl noch deutlich seltener und auf meiner Want-List ziemlich weit oben.

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