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Faves #5
Chuck Berry: School Day / Johnny B. Goode 1957 NL-Chess ´64
Beim letzten Mal habe ich noch geschrieben, dass ich einen großen Bogen um Reissues mache und nun gleich schon wieder eins, und dazu noch eins, das ich partout nicht missen möchte.
Seit 1955 veröffentlichte Chuck Berry in den Staaten bei Chess seine großartigen Singles, die jedoch zunächst nur auf Umwegen nach Europa kamen. In D wurden die ersten Singles von ihm erst 1958 herausgebracht, im UK wohl schon Ende 56/Anfang 57. Anfang der 60er erschienen dann bei Artone/Chess in den Niederlanden seine Großtaten in einer Serie von 14 Singles. Eine davon ist diese hier. Die No 7, wie leicht zu sehen ist.
Und sie ist mir wg der A-Seite unglaublich wichtig. Auch und gerade als Single.
School Day erzählt die Geschichte von Jugendlichen, die sich in der Schule ihre Köpfe mit schulischem Stoff vollstopfen müssen, aber eigentlich nichts anderes im Sinn haben, als zur nächsten Jukebox zu rennen, ihre Münzen einzuwerfen (klassisch die Zeile: rock the coin right into the slot) und with the one you love you make a romance und … abzurocken. Hail, Hail, Rock´n Roll!
In wenigen Worten, mit wenigen Pinselstrichen die Welt das Rock´n Roll in zweieinhalb Minuten festgehalten, das konnte keiner so gut wie Mr. Berry, und kaum einer seiner Songs brachte es so auf den Punkt wie dieser. Wenn es also eine Rock´n Roll-Single gibt, die zu besitzen Pflicht für mich ist, dann ist es School Day.
Die Flip Johnny B. Goode macht diese Ausgabe natürlich zu einer typischen two in one, dennoch immer noch besser als spätere Ausgaben.
Nach dem US-Original halte ich Ausschau, liebäugele aber auch mit einer Schellack-Variante, die im UK nicht soo selten ist. Gibt es eigentlich auch US-78er davon, Tops?
Die Sache mit den Schellacks, will ich hier noch mal kurz aufgreifen. Sie gab es seit ca. 1895 (kurz nach den zylinderförmigen Walzen Edison´s wurden von Emil Berliner die Platten erfunden) und waren bis in die 50er als 10“ oder 12“ das Format für alles, vom Schlager bis zur Sinfonie. Da sie mit 78 Umdrehungen pro Minute gespielt wurden, enthielt eine Seite höchstens ca. 5 Minuten Musik. Erst Ende der 40er wurde in Konkurrenz zur LP (1948) auch die Single mit 45 UpM (RCA, 1949) erfunden. Die erste Single in D gab es erst ´53, die kleine Platte ist hier also so alt wie ich! Sie setzte sich zwar schnell, aber dennoch erst nach und nach durch, da natürlich die alten Abspielgeräte auch erst nach und nach durch neue ersetzt wurden. So gab es von fast allen Titeln sowohl eine Single als auch eine Schellackvariante. Und die klassischen Schlager der frühen 50s, welche in Vatis Musiktruhe gespielt wurden, finden sich noch reihenweise und häufig auf Schellack. Manche auch mit zeittypischer Bildhülle.
Die frühen Rock´n Roll-Songs dagegen wurden in D zunächst zwar auch noch parallel auf Schellack, aber in der Folge nur noch auf Single veröffentlicht. Habe es oben bei Haley schon erwähnt. Ich denke, dass es keine uns interessierende Schellack nach ´57 in D mehr gibt, wenn zu der Zeit überhaupt noch welche gepresst wurden. Der Klassikmarkt war schon zu Beginn der 50s auf 10“-LP und dann auf die 12“ umgestiegen.
Im UK dagegen dauerte der Ablösungsprozess viel länger, bis ca ´59. So kommt es, dass z.B. die Chuck Berry School Day als 45er von ´57 dort mit deutlich über hundert Pfund im Katalog steht, während es die 78er gerade mal auf ein Sechstel bringt. Erst die 59er-Ausgaben kehren das Verhältnis um.
Elvis Costello: You Little Fool / Big Sister + Emotional Toothpaste: The Stamping Ground NL-WEA ´82
Ich kann sicher nicht alle tollen Costello-Singles hier vorstellen, bin deshalb in mich gegangen und habe für die Zukunft einige weggelassen, aber diese musste mit rein. Dafür habe ich schweren Herzen Man Out Of Time gestrichen. Beide von Imperial Bedroom, die eine etwas schwergewichtiger, diese hier in meinen Ohren nach wie vor frischer. Aber darüber ließe sich sicher streiten.
Dabei ist You Little Fool eigentlich ziemlich retro, bedient es sich doch recht schamlos im Zauberkasten des 60s-Psych mit seinen Phasingsounds, Loops und anderen Kostbarkeiten etc. Aber unnachahmlich wie der Meister sie hier für seine Zwecke verarbeitet und zu ganz eigener Sprache umformt. Ganz besonders hat es mir aber dieser wunderbare Zwischenteil zum Ende der ersten Hälfte angetan. Er adelt die leicht verspielte, sprunghafte, dabei überaus catchy Melodieführung über die Zeiten hinaus.
Die Rückseite weist gleich zwei non-LP-Schätzchen auf. Zunächst Big Sister, ein Rocker in bekannter Attraction-Manier. Dann meines Wissens (bitte mich da dringend zu korrigieren, falls nicht) das erste Costello´sche Pseudonym auf Platte: The Emotional Toothpaste. Später gab es dann noch den Imposter, die Coward Bros. und ???
Ein seltsames Stückchen Musik mit einer Tremolo-Schrammelgitarre ganz im Hintergrund, die Stamping Ground etwas leicht Disharmonisches gibt. Der Song selber aber wieder ein klassischer Costello. Zu der Zeit konnte er einfach nichts falsch machen.
Wer weiß, warum Costello als Interpreten hier die Zahncreme angegeben hat und er sich ab da dann und wann ein leicht durchhörbares Alter Ego zulegte?
Bob Dylan: Mixed up Confusion / Corinna Corinna NL-CBS 1966
Dylan und Singles? Der Meister der modernen Song-Lyrik macht Small Talk? Auf 7“?
Natürlich hat er Singles veröffentlicht, mag sich der Nachgeborene denken. Irgendwelche LP-Tracks, die vermeintlichen Hits halt.
Aber nichts da. Dylan hat in den 60s und frühen 70s (später meines Wissens keine einzige mehr) einige Singles veröffentlicht, die non-LP waren. Also richtige Singles. Und das sind für Dylansammler z. T. kleine Schätze. Aber auch musikalisch müssen diese 45er sich in keiner Weise verstecken.
Die berühmteste dieser Singles ist die in Fan-Kreisen extrem gesuchte, nur in Holland erschienene Ausgabe der If You Gotta Go Go Now. Von ihr gab es bald diverse Coverversionen, wovon die der Fairport Convention sicherlich die großartigste war: Si Tu Dois Partir. Die Dylan-Platte selbst aber ist sehr, sehr selten und recht teuer. Habe sie mal in neuwertigem Zustand besessen :blink: ! Sie gehörte zu einem Trio von Mid-60´s Singles, von denen ich hier in Zukunft keine mehr vorstellen werde, deshalb seien sie genannt: Positively 4th Street und Can You Please Crawl Out Your Window.
Zur gleichen Zeit aber erschien noch eine vierte 7“, ebenfalls nur in Holland/Benelux, eine Wiederveröffentlichung der ersten (!!!!) amerikanischen Single von ´63: Mixed up Confusion.
Musikalisch ganz anders als alles aus den Folgejahren, eher jazzig und textlich auf den ersten Blick ziemlich banal. Dennoch…. sie ist eine meiner Faves von ihm. Eine unglaublich frische Platte, musikalisch eine kongeniale Umsetzung der confusion des Sängers. Klasse.
Es ist eine der Aufnahmen, die mir den Glauben an Dylan zurückgegeben hat, damals in den 70s, als ich sie kennen lernte. Er ist hier definitiv nicht der Messias oder sonstwie geartetete Vorbeter einer Generation, er gibt sich hier als der konfuse Junge, der er bis heute irgendwo geblieben ist. Wunderbar.
Und da ist es dann auch kein Wunder, dass die Ministranten des Meisters diesen Song sehr lange von offiziellen Veröffentlichungen fernhielten. Ich habe das nicht mehr verfolgt, aber auf welcher Platte taucht Mixed up eigentlich zum ersten Mal wirklich offiziell auf?
Über Corinna muss nichts gesagt werden. Ganz großartig.
Mithin eine der Singles, für die ich mein letztes Hemd geben würde. Haltet die Augen offen!
Und soooo teuer ist sie nicht!
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