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Ein Abgesang
Brücken wollten wir bauen. Das war u.a. unser Konzept für den Thread. Nicht einfach von einem Künstler zum nächsten hüpfen, sondern wenigstens irgendeine Verbindung sollte bestehen. Von mir selbst kam der Vorschlag, die gigantische Performance von Mahalia Jackson zu benutzen um eine Brücke zu manch anderer berühmten weiblichen Stimme des Jazz´ zu bauen. Doch dieses morsche Stück Holz, das wir hier errichtet haben, führt uns von der Himmlichkeit Jacksons nirgendwo anders hin als in tiefste Abgründe.
Was erzählt er denn? Legen wir doch mal das Album auf, um das es jetzt geht. Es ertönt die Stimme einer alten Frau. Weise, auch ein bisschen frech – altdamenfrech – klingt die Stimme. Mein Blick fällt auf das Cover von „Lady in Satin“. Zur Vergewisserung anschließend auf die Fotos im Cover. Sie sieht darauf besser aus als auf Bildern, die ich von ihr kenne, auf denen sie jünger ist. Aber diese Stimme! Die Frau auf den Bildern war damals gerade 42 Jahre alt, also keine alte Frau. Aber diese Stimme!
Ich weiß nicht viel von der Person Billie Holiday. Wenn auch in den Linernotes von Ray Ellis aus dem Jahre 1997 steht, dass sie während der Aufnahmen zu „Lady in Satin“ „straight“ gehalten wurde, wäre es ein Leichtes in diese Stimme die bekannten Drogenprobleme Holidays hineinzuinterpretieren. Selbstverständlich weiß ich, dass das der Gesang von Billie Holiday ist, den man da hört, womit er längst nicht mehr weise und „auch ein bisschen frech“ klingt. Nicht einmal gut (vielleicht noch interessant, ja). Vielmehr klingt diese Stimme kaputt und vom Leben gezeichnet. Sie schmerzt unheimlich. Und wie sie bewegt! Ich hörte mal, dass Frank Sinatra angeblich Billie Holiday auf ihrem Sterbebett einen letzten Schuss setzen musste, aber all sowas muss man nicht wissen um zu verstehen. Alle Tragik steckt in dieser Stimme.
Welch einen Kontrast dazu bilden jedoch die Arrangements von Ray Ellis. Der Klang seines Orchesters ist schwebend, zart und weich, engelsgleich, er ist das Gegenteil von kaputt. In Satin umhüllt das Orchester seine Lady Day. Während Billie Holiday am Singen ist, hebt dieser Klang sie sanft dem Himmel entgegen. Das klingt pathetisch, aber ohne dass es wohl jemand während den Aufnahmen wusste (wobei Holidays Blick auf dem Cover scheinbar eine traurige Todesgewissheit in sich trägt – oder wohin geht dieser Blick?), wird Billie Holidays persönliches Lieblings-Lady-Day-Album, wird „Lady in Satin“ zum Abgesang der Lady Day. Die Stücke auf dem Album sind durchgehend alle sehr gut. Am meisten bewegt „You´ve Changed“ und „But Beautiful“. Viel mehr habe ich diesmal eigentlich nicht zu sagen. Ich finde, eine Aussage von Ray Ellis trifft die Sache ganz gut:
„After we finished the album, I went into the control room and listened to all the takes. I must admit I was unhappy with her performance, but I was just listening musically instead of emotionally. It wasn´t until I heard the final mix a few weeks later that I realized how great her performance really was.“
Etwa siebzehn Monate nach den Aufnahmen zu „Lady in Satin“ stirbt Billie Holiday wie so viele andere Jazzer viel zu früh.
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