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Nachdem dagobert die erste, Banana Joe die zweite, will ich einfach mal zu später Stunde (bin, glaube ich, nachts am kreativsten – oder klingt auf jeden Fall cool) die nächste Runde bzw. Etappe unserer Reise durch die Welt des Jazz´ einleiten. Und zwar mit folgendem Album:
Meine zweite Jazz-Offenbarung: Die Bekehrung
War „Black Saint and the Sinner Lady“ meine erste Offenbarung, was den Jazz angeht, so ist das hier meine zweite: Duke Ellington „Black, Brown and Beige“.
„Part I“ fängt an und man muss sich die Frage stellen, was im Folgenden eigentlich noch passieren soll. So monumental, so mächtig hat sicher selten ein Musikalbum begonnen. Duke Ellingtons Orchester ist irgendwo ganz weit über uns. Später, soviel sei vorweg gesagt, wird es noch größer, vorerst jedoch geht Duke Ellington einen ganz anderen Weg. „Part I“ selbst wird zum Stück der Gegensätze. Die herkulischen, von einer tonnenschweren Rhytmusabteilung getragenen Klänge des Orchesters werden immer wieder unterbrochen durch leichtere, einfachere, teilweise sogar fast beschwingte Teile. Plötzlich begegnet uns diese einsame, jammernde Trompete. Eine solche ist sie nur kurz, denn dann wird sie auf einmal unglaublich fröhlich, wirft dem Hörer mehrmals ein unwiderstehliches „Lalala La“ entgegen um das anschließend noch mal zu wiederholen: aber ganz zart und mitfühlend. Die ganze Palette menschlicher Gefühle scheint in diesen ersten acht Minuten und siebzehn Sekunden abgedeckt zu werden. Ein Song so bedeutungsvoll wie das Leben selbst. Von da aus könnte sich „Black, Bown and Beige“ jetzt theoretisch in jede Richtung bewegen…
Was folgt ist Besinnlichkeit. Das Posaunen-Solo von John Sanders, die gezupfte Geige, alles wirkt streicherlastiger und alles ist in „Part II“ ruhiger als zuvor noch. Voller leiser Schönheit und Harmonie. Dann: Duke zerstört mit scharfen, kantigen Pianoklängen genau diese Harmonie – doch er ist selbst derjenige, der schon nach kurzer Zeit in seinem Soloteil sie uns wiederbringt. In Zeitlupe wird daraufhin in traumhaften Solos von Harry Carney am Baritonsaxophon und von Harold Baker an der Trompete „Part II“ ans Ende getragen. Ein wahrhaft zärtlicher Gute Nacht-Kuss. Diese Sinnlichkeit von „Part II“ lässt erahnen, was im zweiten Abschnitt des Albums sowieso deutlich wird: „Black, Brown and Beige“ ist reinste Spiritualität, ja, Religion. Was im übrigen keineswegs ausschließt, dass Duke Ellington nicht auch mal Lust hat zu feiern, wo wir bei „Part III (aka Light)“ wären. Eingeleitet von Harold Bakers emporsteigender Trompete entwickelt sich „Light“ zu einem swingenden Stück musikalischer Fröhlichkeit. Immer wieder stößt man auf ganz feine, kleine Momente, die schlichtweg Spaß machen. Und wenn dann in der letzten Minute von „Part III“ noch einmal zwei Gänge hochgeschaltet wird und die Musik erst so richtig Fahrt aufnimmt, fällt es mehr als nur schwer ruhig zu halten.
Aber genug getanzt! „Part IV (aka Come Sunday)“. Mahalia Jackson.
Ich sagte „Spiritualität“, ich sagte „Religion“, all das findet man jetzt auch textlich wieder, aber noch viel mehr, so viel mehr in dieser Stimme von Mahalia Jackson. Duke Ellington und sein Piano sind anwesend, aber der Meister tut gut daran sich weit in den Hintergrund zurückzuziehen und Platz zu machen für diese erhabenste Stimme, die man sich vorstellen kann. Jetzt ist es soweit, das ist noch mächtiger als der Anfang. Als nach gut zwei Minuten das Orchester meint wieder etwas mehr von sich hören zu lassen, weicht Mahalia Jackson nicht zurück, im Gegenteil ihre Stimme wird noch größer. Fast ehrfürchtig klingen die leisen Beckenschläge von Sam Woodyard angesichts dieser Größe. Die Größe Gottes? Für mich ist es die Größe des Lebens, die in „Black, Bown and Beige“ ihren musikalischen Ausdruck findet. Ein so positives Album.
Am Ende von „Come Sunday“ hört man wieder nur Duke Ellington und Streicher und natürlich Mahalia Jacksons Summen. Nein, sie summt nicht, sie beschwört.
Die folgende Instrumentalversion von „Come Sunday“ kann man auch als ein Zwischenspiel inmitten der beiden Stücke mit Mahalia Jackson betrachten. Ein Zwischenspiel, das gewiss auch ein emotionales Durchschnaufen erlaubt, aber ebenfalls das Geigenspiel von Ray Nance, welches hier gewissermaßen Mahalias Stelle einnimmt, ist alles andere als gefällig. Bevor das Stück vom Orchester beendet wird, gelingt es Nance zusammen mit Duke Ellington den wunderbarsten, kleinen Moment des Albums heraufzubeschwören. Da ist sie wieder, diese Besinnlichkeit, diese pure Schönheit. Eine Schönheit, von deren vielfach vergrößerte Entsprechung man ein letztes Mal in “Part VI (23rd Psalm)” gefesselt wird. Wieder die stimmliche Macht der Mahalia Jackson. Nach ziemlich genau einer Minute und zehn Sekunden ein vokaler Ausbruch, welcher eigentlich ausreichen müsste um alles Böse dieser Welt zu vertreiben. Und nach zwei Minuten: Mahalia Jackson holt ein letztes Mal aus. Man ist endgültig bekehrt. Pathos? Nein. Eine gemeine Abwertung wäre das! Reinheit, Glaube, das Gute.
Ich wurde zwar irgendwann mal konfirmiert, aber nun habe ich etwas wahrhaftig Religiöses entdeckt. Amen, Duke Ellington.
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