Re: The Beatles – Sgt Pepper's Lonely Hearts Club Band

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fuchs

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nail75Bei Sgt. Pepper liegt es daran, dass sich die Innovation teilweise an der Oberfläche abspielt. Das Album ist sehr geschickt darin zu suggerieren, es sei innovativ. In Wirklichkeit ist es in mancher Hinsicht bemerkenswert banal: Es eignet sich gut als Kaleidoskop englischer Popmusik. Aber wie jedes Kaleidoskop droht es schnell zu einer exotischen Spielerei zu verkommen, die kaum länger als 5 Minuten unterhaltsam ist und dann schnell an Reiz verliert. Dass das letztlich nicht passiert, liegt an der genialen Produktion von George Martin und an der Lebendigkeit des Albums. Es kümmert sich nicht um die Einwände, sondern existiert einfach als Gesamtheit. Wenn man daran herumkritisiert, wirkt man immer etwas kleinkariert und borniert, sogar dann wenn die Einwände berechtigt sind.

Zunächst mal: nail, deine Beiträge fallen mir wieder auf, weil sie oft eine Dimension mehr erschließen. Das ist auch hier der Fall, obgleich ich deine Ansicht nicht vollständig teile.

Meine Ansicht: Die schnell zu bemerkende Schwäche des Albums war, dass nach der ersten Verblüffung über seine Neuartigkeit von Menschen mit feineren Antennen nicht negiert werden konnte, dass hier Künstler etwas zu plakativ die eigene Großartigkeit zu feiern schienen. Die Beatles hatten sozusagen endgültig ihre Unschuld verloren.
Ein weiterer Umstand, der es dem Album immer schwer gemacht hat, ist die Tatsache, dass es lange Zeit als Nonplusultra der Popmusik galt. Das forderte spätere Hörer geradezu heraus, es kritisch unter die Lupe zu nehmen und ein Haar in der Suppe zu finden.
Aber mal ehrlich: Rubber Soul, Revolver – was sollte denn nun noch kommen? Das große Pop-Gesamtkunstwerk wurde irgendwie erwartet und sie haben es es ja auch fast geschafft…
Brian Wilson ist an dieser Kaskade gescheitert – nach Pet Sounds kam lange nichts mehr, weil die Ansprüche an Smile so groß waren, dass sie die Entstehung des Werkes unmöglich machten.

Der Favorit hats immer doppelt schwer. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich entscheiden, ein später als unterbewertet eingestuftes Werk zu schaffen – denen passiert nie was, sie können nur gewinnen, und jeder freut sich, wenn ihnen das gelingt.
Dazu kommt, dass der typische Popmusik-Hörer eher dazu neigt, den Underdog zu unterstützen – die gesamte Geschichte der Popmusik wurzelt da. Wenn ein Werk erst einmal kanonisiert ist, ist es schon fast tot für die Mehrzahl der Hörer, und man macht sich auf die Suche nach dem nächsten Outlaw. (Diesen Status scheint Revolver für unabsehbare Zeit gepachtet zu haben. Interessant wäre eine Analyse, warum das so ist.)

Eine von diesen Gesichtspunkten unbeeinflusste Rezeption des Albums ist m. E. auch heute noch nicht möglich.

Ich denke aber, dass das Album besser als seine heutige Einordnung ist. Es ist die Annäherung an ein gelungenes Gesamtkonzept mit den Mitteln der Popmusik – gelungener als die Versuche der meisten anderen.
Und – unbeschadet all dessen – sind die einzelnen Songs schön und frisch und fantasievoll und größtenteils von der musikalischen Idee her originär und – inzwischen aus dem Kodex der Popmusik nicht mehr wegzudenken.

Meine Einschätzung des Albums ist: Seid vorsichtig mit eurem Urteil, das Sgt. Pepper zu schnell als zu gefällig und plakativ („kaleidoskopartig“) einordnet – die Zeitgenossen haben das ganz anders empfunden. Und ich könnte mir vorstellen, dass spätere Hörer es aufgrund seiner Substanz duchaus wieder in einen Rang heben, der ihm heute noch nicht zuerkannt wird.
Eben weil – und das hast du sehr schön charakterisiert – es sich nicht um Einwände kümmert und einfach existiert. Und das ist übrigens stets Kennzeichen großer und eigenständiger Kunstwerke.

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fuchs "And they couldn't prevent Jack from being happy..."