Re: Paul Weller – Heavy Soul

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j-w
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maximum rhythm & blues

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„Heavy Soul“ hatte, als es erschien, die Bürde, dem bei Kritikern und Fans begeistert aufgenommenen „Stanley Road“ zu folgen, das als kommerzieller Höhepunkt der „grandiosen Triologie“ der ersten 3 Soloalben ihn als Modfather und Integrationsfigur der Britpop-Szene von 95/96 etablierte. Eigentlich tolle Voraussetzungen.

Weniger toll war, dass Weller’s Plattenfirma „Go Discs“ von PolyGram aufgekauft wurde und er so wieder in Diensten der Plattenfirma stand, die ihn 1989 hat fallen lassen. Paul Weller ist bei solchen Angelegenheiten durchaus nachtragend und hat insofern durchaus gemischte Gefühle bei der Veröffentlichung von „Heavy Soul“ gehabt. Außerdem war seine Ehe mit D.C. Lee während der Produktion dieses Albums endgültig in die Brüche gegangen und als Single trieb sich Paul mit seinen Kumpels aus der Britpopszene (Oasis, Ocean Colour Scene) aber auch alten Freunden aus der Acid Jazz-Szene herum und sprach diversen Drogen recht ausgiebig zu.

Die Erwartungen waren riesig, das Konzept „Heavy Soul“ (wie der Name schon sagt) gut und trotzdem ist diese Platte nicht zu dem Überwerk geworden, für das sich alle begeistert haben. Die vorab (im Sommer 96) ausgekoppelte Single „Peacock Suit“ war zwar kein neuer Maßstab in Punkto Originalität, aber trotzdem wurde deutlich, in welche Richtung das neue Album gehen sollte: Pauls Idee war, den Soul und die live eingespielte Tightness der klassischen Soulaufnahmen (Wilson Pickett, Otis Redding etc.) mit dem englischen 60s Rocksound zu verbinden. Das Ergebnis, also Peacock Suit, war überzeugend – vergleichbar mit „Drive my car“ von dem ähnlich betitelten „Rubber Soul“,aber halt noch ein Tick heavier. Zwischen Single und Album lagen dann 10 Monate, Grund waren die oben genannten Probleme.

Als das Album dann endlich im Juni 97 erschien, war Paul Weller mittlerweile von gehässigen britischen Kritikern, die das Ende des Britpop-Booms witterten, als „Clapton-like-Dadrock“ bezeichnet worden. Und wenn einer was griffiges schreibt, springen andere gern auf, völlig losgelöst von der Frage, ob so ein Label einen Sinn ergibt. Nie verstanden habe ich diesen Clapton-Vergleich, denn wenn Weller irgendwie in Richtung Clapton geklungen hat, dann nach dem End-60s-Clapton von Cream und Blind Faith und der ist ja eigentlich bei den Kritikern unantastbar. Nevermind the bollocks, here’s the songs:

01. Heavy Soul (Pt. 1) ****1/2

Von kräftigen, offenen Akkorden getragen, reagiert Weller hier auf die Erwartungen der Fans und die Angriffe der Kritiker. Er versichert „I still seek the same things that I once thought to be true“ und „I can’t be beaten and I can’t be bought“ und mündet den Song in einen ausladenden Jam, der live eigentlich erst richtig zur Geltung kam. Auf so persönlicher Ebene hatte Paul bis dahin noch nie reagiert, die engagierten Texte der 70er und 80er bezogen sich immer auf öffentliche Umstände und selten auf das eigene Befinden. Ein alles andere als leichter Opener, aber das Album heißt schließlich auch nicht „Easy Soul“!

02. Peacock Suit ****1/2
Über den Song habe ich ja eingangs schon einiges gesagt, gefühlt gehört er nicht so richtig in die Platte, einfach weil er noch so in 1996 gehört und schon altbekannt war als dann doch endlich das Album erschien.

03. Up in Suzes‘ Room *****
Für mich der Höhepunkt des Albums. Irgendwie wie ein „Norwegian Wood“ mit Happy End (schon wieder ein Rubber Soul-Bezug!). „She licks my facccccccccccce“ zischt Weller wie Lennon in „Girl“ und ein groovig-folkiges Arrangement mit psychedelischen Streichern und Echo-Effekten und knisternder Atmosphäre. Auch live ein echter Knaller. Aus diesem Grunde wohl – neben natürlich Peacock Suit – der Song von Heavy Soul, der am häuigsten live gespielt wurde.

04. Brushed ***
Die zweite Single, parallel mit dem Album-Release veröffentlicht. Ein Song, dessen Musik von Steve White stammt, der sie mit Bassist Marco Nelson arrangierte. Paul schrieb den Text. Definitiv eine schlechte Wahl für eine Single. Heavy ist der Song. Soul – Fehlanzeige. Feedbackgitarren und orchestrale Einwürfe à la „Tomorrow never knows“. Nur ist der Text nicht spannend-myteriös, sondern wütend. Mittlerweile gibt Paul zu, dass er den Song nicht leiden kann und ihn nur aufgenommen hat, weil Whitey ihn geschrieben hat und er zu seiner damaligen Stimmung passte. Ein Wendepunkt im Album.

05. Driving nowhere **1/2
„Driving nowhere, going no place“ – Die ersten Zeilen fassen den Song perfekt zusammen. Nicht wirklich schlecht, aber auch so wenig packend, dass der mit 2:56 wahrlich nicht lange Song, trotzdem nach bei der zweiten Strophe schon langweilig wird.

06. I should have been there to inspire you ****
Der Song, der die in den Sand gesetzte Beziehung zu seiner Frau thematisiert. Der einzige Song von dem Album, der auf der folgenden Tour (mit Ausnahme von einem TV-Gig bei Jools Holland) nicht live gespielt wurde. Aber es bleibt eine bewegende Ballade, die Paul (kein Wunder!) sehr authentisch und berührend interpretiert.

07. Heavy Soul (Pt. 2) ***
Hier wird noch einmal in dem End-Jam von Heavy Soul eingeblendet. Eine Idee, die wenn man berücksichtigt, dass auch „I should have been there to inspire you“ in einen ähnlichen Jam mündet, absolut überflüssig erscheint.

08. Friday Street ****
Die dritte Single. 2:17. Ein schöner 60s-Song, der zwar nicht an „Hung up“ (das ähnlich kurz war) herankommt, aber trotzdem kurzweilig bleibt. Was mich trotzdem störte, war, dass nach Stanley Road (und OCSs „Debris Road“) schon wieder ein Straßenname für einen Songtitel herhalten muss!

09. Science ****

Der Song, der erst mit der Solo-Tour 2001 seinen wahren Durchbruch hatte. Die sehr originellen (oder sollte ich sagen ’sophisticated‘?) Zeilen wie z.B. „I’ve got a pen in my pocket, does that make me a writer? Standing on a mountain doesn’t make higher. Putting on gloves doesn’t make you a fighter – and all the study in the world doesn’t make it science“ gehen in dieser Studioversion fast unter. Klar der Song bleibt klasse, aber richtig entfaltet hat er sich erst mit dem abgespeckten Arrangement.

10. Golden Sands ***
Fast schon ein klassischer Boogie mit Jools Holland am Wurlitzer. Gut gemeint, aber auch ein bisschen egal. Tut nicht weh, aber berührt auch nicht.

11. As you lean into the light ****
Die zweite Ballade. Aber kein Love-Song (oder Blues). Nein, da wird es interessanter. „Turning like a wheel dragging a heavy stone – A weight that ties you down that you will never own“. Aha, daher weht der Wind. Eine schöne Stimmung wird aufgebaut und bei 2:40 hört der Song plötzlich auf. Live (vor allem auf der RAH-DVD von 2000) wurde das geschmackvoller und nicht so abgehackt umgesetzt. Leider auch seitdem nicht mehr live gespielt.

12. Mermaids ***1/2

Der Gesangseinstieg wird eingeblendet (krasser Stimmungswechsel!) und ein weiterer Unter-Drei-Minüter (2:57) fängt an. Ein Song, der fröhlich sein soll (inklusive „Sha-la-la-Refrain“) und mich trotzdem nie so richtig erfreut hat. Eigentlich hat er alle Zutaten, die ich schätze, aber diese (vierte) Single wird nie den Weg in meine Top 100-Weller-Songs finden.

Insgesamt sind es ****, die das Album bei mir bekommt. Früher tendierte ich zu ***1/2, aber von der heutigen Warte stellt sich das etwas anders dar.

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Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue