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bullschuetzIch kreise jetzt auch nervös um die Frage, ob ich mir „Stolen Moments“ anschaffen soll. Bin sehr interessiert, hege aber zwei Sorgen – dass es
(1) ein bisschen arg verkopft sein könnte (habe ein Stück Vorwort oder Selbstauskunft oder sowas irgendwo gelesen)
(2) sich zu einem allzu großen Teil an eher obskuren Schweizer Jazzern abarbeitetKann mir jemand meine Sorgen nehmen?
Verkopft mag es sein … für mich gehörte die Kolumne Rüedis schon als Teenager zum besten und anregendsten, was ich über Jazz zu lesen kriegte, das Highlight auch schon der alten „Weltwoche“, als die noch ein liberales Blatt war. Rüedi machte auch nach der rechtskonservativen Übernahme noch weiter, aber da das Heft rasch zum Ärgernis wurde, stellte ich meine Lektüre der Kolumne (derentwegen ich nicht die wöchentlichen 4-5€ auslegen mochte, eigentlich kleinlich) ein – und freute mich umso mehr über das Buch. Klar, ich war auch als Teenager schon verkopft, aber ich glaube nicht, dass einer, der halt auch in Literatur und Philosophie bewandert ist (Rüedi ist ein Theatermann, Jazz seine Passion) deshalb unlesbares Geschwurbel schreibt. Wie gesagt, für mich zählen die Texte zu den anregendsten, die ich kenne – gerade in ihrer Kürze.
Zu Punkt zwei muss man eigentlich gar nichts sagen ausser dass derjenige, der ein solches Gerücht streut, wohl eine private Rechnung zu begleichen hatte oder sonst unzurechnungsfähig ist … es geht um obskure Jazzer aus der halben Welt, Rüedi war nie einer, der dem neokonservativen, traditionalistischen Marsalis-Glauben verfiel (sonst könnte er ja nicht anregend sein – der Mann hat offene Ohren und kann denken und lässt in den Kolumnen daran teilhaben) und sich daher nie auf die USA beschränkte. Warum hätte er das auch tun sollen, in der Zeit, in der er schrieb, hatte der Jazz längst überall Ableger produziert, die im besten Fall wiederum ihren eigenen Blick ins Ganze brachten. Aber es gibt gewiss auch ein paar Marsalis-Platten, über die man nachlesen kann, es gibt auch manche Kolumne zu Klassikern … von „The Quintet – Jazz at Massey Hall“ oder wie das Ding in seinen Inkarnationen halt jeweils hiess, las ich zuerst bei Rüedi, auf Mosaic Records wurde ich durch seine Besprechung der Box mit den Atlantic-Aufnahmen von Tristano/Konitz/Marsh aufmerksam (und begann dann, weil ich Rüedi glaubte, noch als Gymnasiast mittels „international money order“ Musik von Mosaic zu kaufen, als erstes natürlich mal die TKM-Box).
Man merkt, unparteiisch bin ich nicht, Rüedi hat mich gewiss geprägt – aber ich will hoffen mehr was die Neugierde betrifft, die Offenheit, aber auch den einigermassen scharfen Blick, als dass ich ihm nachplappern würde (das könnte ich gar nicht, der Mann hat seinen eigenen Tonfall). Ich empfehle das Buch aus all den Gründen jedem, der irgendwie an Jazz interessiert ist, aufs Herzlichste.
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