Re: Jazzbücher

#2196113  | PERMALINK

redbeansandrice

Registriert seit: 14.08.2009

Beiträge: 14,067

wie schon angedeutet hab ich in den Ferien zwei „Klassiker der Jazzliteratur“ gelesen, Art Taylors „Notes and Tones“ und AB Spellman’s „Four Lives in the Bebop Business“:

Taylor ist momentan sehr leicht erhältlich und definitiv zu empfehlen. (Ich hatte die Originalausgabe, von Taylor in seiner belgischen Heimat (Liege) selbst verlegt, es gibt eine neue Ausgabe mit zwei Interviews mehr). Wie gesagt nichts weiter als eine Sammlung von knapp 30 Interviews mit einer repräsentativen Auswahl von Jazzgrößen. Es sind quasi Interviews im Freundeskreis – was den zu erwartenden Effekt hat, dass manche tendentiell besser funktionieren als bei Journalisten (Miles Davis!) während andere (zB Dexter Gordon, Bonusinterview in der erweiterten Ausgabe) das Gespräch offenbar nicht so richtig ernst nehmen… (Auch das gibt natürlich witzige Momente, etwa wo Johnny Griffin anmerkt, Konzerte in Skandinavien würden sich für ihn nicht mehr so richtig lohnen, jetzt wo er verheiratet sei.) Irgendwo im Internet bemerkte ein Reviewer, dass es keiner der Befragten durch sein Interview schafft, ohne Sachen zu sagen, bei denen man sich echt an den Kopf fasst. Das ist sehr wahr – und wenn es seitenlang ging, hab ich es auch teilweise übersprungen, grad wenn es um halbgare Theorien im Grenzbereich zwischen Politik, Rassismus und Esoterik ging, vielleicht beim nächsten Lesen… pauschal gesagt sind es für mich die Interviews mit Frauen (Hazel Scott, Betty Carter, Nina Simone) und Schlagzeugern (Philly Joe Jones, Elvin Jones, Art Blakey, Max Roach, Kenny Clarke), die am besten klappen…

Spellman ist schlicht eine Sammlung von vier biografischen Essays aus der Übergangszeit Bebop/Free Jazz, ursprünglich von 1966 und wenig überarbeitet (gibt wohl noch neuere Ausgaben). Das mit dem „Bebop Business“ ist leicht irreführend, weil das Buch von Musikern handelt, die in der „Bebop-Welt“ nicht so richtig klarkamen (und „Bebop als Normalfall“ uns heute ein bisschen fremd ist). Die vier Musiker sind Cecil Taylor, Ornette Coleman, Herbie Nichols und Jackie McLean, und die Texte basieren (bis auf Nichols) sehr stark auf Interviews mit den Künstlern und Weggefährten (sind also fast „oral histories“). Die ersten beiden über Taylor und Coleman (jeweils vor 1966) sind die längsten und ich fand sie auch klar am stärksten (und sehr sehr stark). Das Material über Coleman kannt ich über weite Strecken schon von anderswo – aber das mag durchaus von hier kopiert gewesen sein, insofern hat sich Taylor für mich am meisten gelohnt. Aber auch zB die drei Seiten von Coleman über „warum ich aus kultur/rassenhistorischen Gründen gezwungen bin vorwiegend mit weißen Bassisten zu arbeiten“ sind lesenswert und so nie reproduziert worden. (Weiße kommen auch in diesem Buch nicht sehr gut weg.)

Der McLean Text war etwas schwächer, hier waren die beiden Schwerpunkte seine Jugend mit Sonny Rollins, Bud Powell etc, und der Verlust seiner Cabaret Card (und das Kapitel ist teilweise auch schlicht ein Aufruf für die Abschaffung der Cabaret Card – anders gesagt: mehr Musik wär nicht verkehrt gewesen)… hatte aber ein paar sehr interessante Zitate (zB wo McLean meint, Monk dürfe man nicht unterschätzen, der könne einem auf Anfrage den Vietnamkrieg enorm treffend in vier Wörtern zusammenfassen. Bud Powell dagegen wisse vermutlich nichts über so einen Krieg… oder dass Bud Powell ständig ein Bob Thompson Gemälde in seiner Jackentasche mit sich rumträgt, oder die Bemerkungen über „The Connection“).

Das Nichols Kapitel ist etwas enttäuschend. Nichols hatte Spellman wohl vor seinem Tod gesagt, wie sehr er es zu schätzen wisse, dass endlich jemand einen Artikel über ihn schreibt – und Spellman hat sich redlich bemüht. Der Text stützt sich wohl hauptsächlich auf eine autobiografischen Skizze von Nichols, in der es im wesentlichen darum geht, wie unbefriedigend Nichols so ungefähr alles fand, was er je gemacht hat. Leider ist dieser Text nicht ausreichend mit Zitaten von Weggefährten (oder meinetwegen: Zeugen) unterfüttert – so dass man sich am Ende schon ein bisschen fragt: Hatte Nichols einfach unglaubliches Pech? War es vielleicht doch nicht ganz soo schlimm, wie die Skizze, die Nichols kurz vor seinem Krebstod schrieb, nahelegt? Oder war Nichols möglicherweise einfach ein hochtalentierter aber eher unangenehmer Mitmensch – von den Zitaten her will man das nicht ganz ausschließen? Die Antworten hätte man sich eigentlich aus dem Text erhofft.

--

.