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Mikko
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass alle, die hier „Nevermind“ lieber hinter „Surfer Rosa“, „Daydream Nation“, „Siamese Dream“ oder diversen Wipers LPs sehen respektive hören, zu dieser Meinung vor allem kommen, weil „Nevermind“ so erfolgreich war und ist.
Ach, herrjeh, jetzt geht diese Leier wieder los.
Klar, logisch, alle „Indie-Spiesser“ mögen erfolgreiches „Kulturgut“ ja deswegen prinzipiell nicht, weil sie’s mit jedem Hinz und Kunz teilen müssen. Alter Hut und immer wieder gerne in solchen Diskussionen wie hier genommen. Weshalb ich trotzdem drauf anspringe?
Weil ich in diesem Thread hier (wie schon im übrigen immer wieder erneut immer wieder erneut und nochmal und nochmal und nochmal und…) kundtun möchte, daß ich mich beim Hören von Musik ganz einfach auf meine Ohren, mein Empfinden und meinen Geschmack verlasse. Natürlich ist nicht minder wichtig, welche Aussagekraft hinter dem Gehörten steckt, von mir aus auch ihre „Wichtigkeit“ – kurz: Relevanz.
Musikalisch gibt mir persönlich „Nevermind“ nichts. Null! Nada! Die Depression eines K. Cobain wirkte auf mich abgeschmackt. Wohlgemerkt zu seinen Lebzeiten schon – und danach liess es/er mich auch kalt. Depressionen gab’s vorher schon zuhauf in der Rockgeschichte, und diese wurden auch schon mal besser im Werk eines betreffenden Künstlers verarbeitet. Und dabei möchte ich direkt auf die, die hier irgendwo bereits wegen ihres Kunstanspruchs genannten „Postpunk“-Werke, verweisen. Die mir eben wegen dieses Kunstanspruches und ihrer nicht allzu platten, aufdringlichen Art und Weise viel mehr zusagen. Nur weil gewisse Metaphern, Anspielungen und Texte, bei denen man eine Ecke weiter denken muß, nicht allzu offensichtlich sich offenbaren, müssen die betreffenden Alben nicht hinter einer angeblichen „Nevermind“’schen „Grossartigkeit“ hinten an stehen. Brüllt halt nicht jeder ein plakatives „here we are now, entertain us“ haraus. Viele haben sowas auch gar nicht nötig, um Grösse zu zeigen.
Soweit, so gut.
Kurz, wären „Surfer Rosa“ und „Daydream Nation“, oder von mir aus auch sowas wie „Satan, Bugs Bunny and me“ kommerzielle Überflieger gewesen, so wären diese mir genauso lieb und teuer, wie sie mir auch so sind. Oder anders herum: „Closer“, „Psychocandy“, „Black Celebration“ und „Never Mind The Bollocks…“ verwerfe ich ja auch nicht, weil sie so erfolgreich waren. Dies zu sogenannten „Bescheidwisserplatten“…
Was mir allerdings immer wieder in „Nevermind“-Diskussionen auffällt, ist der Widerspruch, daß die glühenden Nirvana-Verehrer zum einen an den ach so überproduzierten, glatten und „rockarmen“ Produktionen der Achtziger kein gutes Haar lassen und zum anderen den „fetten“ Sound von „Nevermind“ explizit loben, da vorher jede „Indie“-Platte ja so scheppernd und dünn geklungen habe. Na, Holla. Meistens frage ich diese Leute dann, was sie denn vor „Nevermind“ gehört hätten. Meistens kenne ich die Antwort schon vorher: „Metal“. Ach…
Ich möchte mich weiß Gott nicht erdreisten zu behaupten, diese Leute hätten vor Nirvana einen „falschen“ Musikgeschmack gehabt. Aber ein wenig Recherche in Punkto Musikhistorie hilft schon oft ein wenig, auch wenn’s „nur“ ein Aufarbeiten mancher „Defizite“ sein sollte.
Aber sollte „Nevermind“ doch auch gute Seiten haben? Ja, durchaus. Natürlich ist es schön zu erfahren, daß jüngere Jahrgänge oder Vertreter einer härteren (Rock-) Gangart durch dieses Album sich bemüssigt fühlten, tiefer zu graben. Aber die Liga der unverbesserlichen Rockpuristen bekamen mit „Nevermind“ leider auch neues Futter und „ihre“ Bestätigung. Und keiner differenzierte und alle lagen sich euphorisch in den Armen und machten die Bahn frei für Unsäglichkeiten a la Pearl Jam und Konsorten. Auf Jahre hinaus versank die Populärmusik in einem zähen und langweiligen Rocksumpf, der manche Weiterentwicklung eher hemmte. Und mitverantwortlich ist natürlich auch der übertriebene Hype um Nirvana und ihrem lauen „Nevermind“. Durchaus ärgerlich!
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Über Musik zu schreiben ist wie zu Architektur zu tanzen.[/FONT]