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Ich habe mir den Film, natürlich gänzlich voreingenommen, gestern abend angesehen, aber ich bin immer noch unfähig, mir eine klare Meinung dazu zu bilden; wenn zur Debatte stünde, ob Gibsons Film, ein cineastisches Meisterwerk sei oder nicht, wäre diese Frage leicht zu beantworten. Wir haben es quasi mit einem Nichts an Schauspielerei zu tun (so als ob man auf einen Altar blickt…) oder besser gesagt mit zwei Polen: entweder wird betroffen dreingeblickt (der Jesusdarsteller geht aus diesem Wettbewerb als klarer Sieger hervor, dicht gefolgt von Monica Bellucci) oder lüstern-geifernd eingeprügelt. Das Drehbuch ist ebenfalls ein Totalausfall: man nehme die größte Geschichte aller Zeiten, die im Original nicht mehr als eine handvoll Seiten ausfüllt, und wälze sie auf einen Film von zwei Stunden Länge aus.
Klingt trivial, ist aber langweilig. Die einzigen wirklichen „künstlerischen“ Freiheiten nahm sich Gibson bei einer Reihe von Flashbacks: Szenen aus Jesu Leben dienen an bestimmten Wegpunkten zur Konterkarierung des Geschehens. beispielsweise werden die Bergpredigt und die Kreuzigung miteinander verbunden, um zu zeigen, wie die Passion Christi zugleich eine Perversion seiner Lehre darstellte. Bis auf diese kleinen Abweichungen und ein paar apokryphische Einschübe bleibt Gibson den Evangelien so treu wie möglich. Das war zwar sein klares Anluiegen, aber dennoch bleibt ein etwas mulmiger Nachgeschmack: Es gibt zuwenig Substanz, zuwenig „Film“, um die zwei Stunden zu rechtfertigen. Zwar haben wir es (auf technischer Seite) mit einer Glanztat zu tun, the movie is beautifully set, lit, shot and orchestrated, aber man hat immer das Gefühl, jede Nuance wird weit über ihre Grenzen hinaus strapaziert, man setzt auf großes Drama, ohne es zu erzeugen. Also: von filmischer Seite betrachtet eher Mittelmaß. Andererseits:
Gibson hat auch nie behauptet, einen guten Film gemacht zu haben…
Nun zur wirklichen Kontroverse:
1. ist Passion antisemitisch ?
2. wie drastisch sind die Gewaltdarstellungen ?
1. Der Film ist nicht mehr oder weniger antisemitisch als seine Vorlage selbst,
die Evangelien. Sie sind aus unterschiedlichen Quellen lange nach Jesu Tod
entstanden und dienten vor allen Dingen auch zur Konstituierung einer neuen
Religion, in dem Glauben an einen auferstandenen Jesus. Ziel war es, sich von
den Juden abzugrenzen, sie in einem möglichst schlechten Bilde erscheinen zu
lassen und der neuen Glaubensrichtung somit eine Nische zu schaffen.
Aus diesem Bruderhass heraus sind insbesondere die Bilder der tonangebenden
Juden (z.B. des Hohepriesters Kaiphas) in den Evangelien unvorteilhaft gefärbt.
Wir wissen heute, dass Pontius Pilatus in seiner Funktion als Statthalter einzig
und alleine die Möglichkeit dazu hatte, über vermeindliche Aufrührer die Todes-
strafe zu verhängen und so Unruhen im Keim zu ersticken.
Gibsons fataler Fehler (oder seine Marketingstrategie, wer weiß das schon ?)
besteht somit in der Treue gegenüber den Evangelien. Er hat das geschriebene
Wort als wahr und gegeben filmisch (wenn auch nicht cineastisch !) umgesetzt
und vielleicht dadurch die Möglichkeit verpasst, die Geschichte, wie sie wirklich
geschehen sein könnte, darzustellen (obwohl er das ja gerade als Motivation
angab).
2. Die Gewaltdarstellungen sind in der Tat drastisch, wenn aber auch nicht
außergewöhnlich. Mit Splatter oder Sadismus hat das weiß Gott nichts zu tun.
Da der Film sich aufgrund der selbstauferlegten Rahmenbedingungen
(den letzten 12 Stunden) nahezu ausschließlich mit den physischen „Leiden“,
d.h., der Folterung und Hinrichtung Christi befasst, so ist die visuelle Umsetzung
derselben für die „message“ natürlich auch von Nöten. Allerdings ist der größte
Schockeffekt die Erkenntnis, dass dies nicht irgendeinem Mafioso aus Brooklyn,
sondern Christus selbst widerfährt. Die Folterungen sind zwar überlang und
intensiv, aber wie der Rest des Films visuell ästhetisch eingefangen. Eherlich
gesagt: die Anfangsschlacht von Gangs Of New York befindet sich ungefähr
auf dem gleichen Level, also nichts für außerordentlich Zartbesaitete, aber auch
kein Sado, Splatter oder Snuff. Punkt.
Fazit: Ein höchst mittelmäßiger, wenn auch technisch souverän umgesetzter
(aber das kann man heutzutage ja auch erwarten) Film, der niemanden
über die Maßen schocken wird, dennoch einen lohnender Kinogang, weil
er eine Menge Diskussionsstoff über zentrale ethische und religiöse
Grundfragen bietet. Scorsese war viel besser.
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