Re: Beste Alben des Jahres 1990

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spiderland77

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1990. Ein schwieriges Jahr irgendwie. Einige gute Alben, aber sehr gute? Depeche Mode ganz klar vorne. Ich habe mit meinem Taschengeld in der Hand vor dem Plattenladen angestanden und fühle heute noch das Kribbeln. Vor 25 Jahren erschien also Violator…das Magnum Opus von DM.

“Let me take you on a trip / Around the world and back – And you won’t have to move / You just sit still…”

Das Echo, welches diesen einführenden Worten von Dave Gahan folgen sollte, verhieß jedoch alles andere als Stillstand und Zurücklehnen. Ausgerechnet in den USA, ein Ort an dem die Band bis zu ihrem legendären 101 Konzert in der ausverkauften Rose Bowl Arena in Pasadena kein Fuß fassen konnte, spielten sich am Vorabend des offiziellen Erscheinungstermin des 7. Studioalbums tumultartige Szenen ab. An die 10.000 Polizeikräfte waren in L.A. im Einsatz um die Menschen, die zu einer Signierstunde der Gruppe erschienen waren, in Zaum zu halten. Derartige Auseinandersetzungen kannte man zuvor nur von Heavy Metal Konzerten, nicht jedoch in Zusammenhang mit einer Synth-Popband aus Basildon.

Als “Violator“ im März 1990 in die Läden kam, war ich 12. Erste Begegnungen mit Depeche Mode machte ich zwar einige Jahre zuvor (durch die Singleauskopplungen von Black Celebration…aufgenommen über Formel Eins mit einem Kassettenekorder!) Doch erst die markant kühlen und zeitlosen Sounds dieses Albums waren es, die mich bis heute nicht mehr loslassen sollten. Es verging damals kein Tag, an dem ich nicht die Platte mit der Rose auf schwarzem Hintergrund auflegte. Warum fingen sämtliche Klassenkameraden und sogar meine Schwester, die sich in ganz anderen musikalischen Sphären bewegte, an, diesem Album zu huldigen? Nun, ich möchte so weit gehen und behaupten, dass meine Freunde und ich durch dieses von Mark Elis “Flood“ produziertes Werk musikalisiert wurden. Mit dem Album betraten wir eine Welt, durch die wir alle euphorisiert taumelten und die wir nie wieder verlassen wollten. Jedes Mal wenn ich die Platte auflege, werde ich in die Anfänge meiner Jugend zurückversetzt. Während andere Jungs, die nicht dieser Musik verfielen, allmählich begannen den Mädchen mit Ihren Fußballkünsten zu imponieren, genügte ich mir selbst. Ähnlich wie in dem von Anton Corbjin produziertem Video zu „Enjoy the silence“ legte ich in meinem Königskostüm weite Strecken über Felder und Berge zurück. Ab und an gönnte ich mir auf meinen Klappstuhl eine Pause und summte den Refrain mit „…words can only do harm“. Also schwieg ich und genoss die Musik. Noch heute zieht mich die LP angefangen mit „World in my eyes“ über die Singleauskopplungen „Personal Jesus“, „Enjoy the Silence“, „Policy of Truth“ und „World in my Eyes“ bis hin zu dem finalen „Clean“ in einen Sog musikalischer Popperfektion, wie ich es zuvor nicht kannte. Mein Musikverständnis erfuhr eine zweite Geburt und mein Musikkonsum wurde entscheidend beeinflusst.
Mit „Clean“ aus der Feder von Martin L. Gore entwarf dieser ungewollt auch zugleich seine fatalistischsten Zeilen. Denn nach zahllosen Auftritten im Rahmen einer Welttournee zu ihrem Nachfolgealbum „Songs Of Faith And Devotion“ gab sich Dave Gahan den Drogen hin und war nach einem Heroincocktail sogar für einige Minuten als klinisch tot befunden worden. Vielleicht war es die in „Waiting for the night“ besungene kosmische Nacht, die den Frontman der Band wieder zurück unter die Lebenden holte. „Violator“ hat mich nicht nur als heranwachsenden Teenager begleitet, sondern es mit nur 9 Songs und einer Spielzeit von 47 Minuten geschafft, heute nicht dem hektischen Alltag zu erliegen, sondern innezuhalten und die Stille zu genießen. Ein Meisterwerk!

1. Depeche Mode – Violator
2. Pixies – Bossanova
3. Sonic Youth – Goo
4. A Tribe Called Quest – People’s Instinctive Travels And The Paths Of Rhythm
5. Public Enemy – Fear Of A Black Planet
6. Yo La Tengo – Fakebook
7. Bastro – Sing The Troubled Beast
8. Codeine – Frigid Stars
9. The Fall – Extricate
10. Bad Religion – Against The Grain

Die Liste liest sich retrospektiv, nachdem meine Ohren über Jahre hinweg geliebkost aber eben auch malträtiert wurden, eigentlich sehr schön. Viel interessanter wäre es vielleicht auch Mal eine Liste zu erstellen was man in dem besagten Jahr tatsächlich gehört hat (schließlich habe ich Yo La Tengo erst 6 Jahre später entdeckt…ebenso Codeine), …dann wären auch C.C. Music Factory etc. hier auf der Liste…oh je ;-) Aber das ist ganz natürlich…mit 13…damals…ohne Internet! Man muss sich nur Mal auf last.fm umsehen und die Profile von jungen Menschen anschauen, die haben eben ganz andere Ressourcen als wir damals und hören teilweise richtig interessante Sachen.

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