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In eigener Sache
Normalerweise beantworte ich PNs zeitnah und individuell, diesmal ist mir das leider nicht möglich. Um einige der mehr als 30 Fragen und Anliegen, die seit Weihnachten aufgelaufen sind und noch der Bearbeitung harren, werde ich mich in den nächsten Tagen noch kümmern. Man bedenke, daß ich sehr ins Detail gehende Fragen zu Künstler-Bios, Labelpolitiken oder obskuren Veröffentlichungen für gewöhnlich nicht aus dem Kopf beantworten kann. Das erfordert nicht selten Recherche und die kostet Zeit. Als Faustregel gilt hier: halte ich die Frage für interessant, will ich die Antwort selbst wissen. Also werde ich der Sache auf den Grund gehen. Tangiert die Frage meine Musikwelt aber nicht oder spricht aus ihr ein niveauloses Verhältnis zu Musik, empfinde ich sie eher als lästig und tendiere dazu, mich um den Aufwand einer Beantwortung zu drücken. Ich weiß, daß eine solche Haltung hier allgemein als arrogant und überheblich angesehen wird wie jedes Urteil, das nicht stante pede mit relativierenden Floskeln verdünnt wird. Sympathisch ist demnach, wer meint, daß „schließlich doch alles bloß Geschmacksache“ sei. Und nicht vergißt, diesen dummschlurchigen Spruch eilfertig ans Ende jeder Aussage zu pappen. Mich bringt das zum Würgen. Daneben ist Arroganz eine geradezu erstrebenswerte Eigenschaft. Aber ich schweife ab. Was ich sagen will: einen Teil der an mich gerichteten PNs kann/werde ich nicht auf dem PN-Wege würdigen, sondern generisch hier im folgenden. Natürlich werde ich keine Namen nennen, die Diskretion bleibt also gewahrt. Wohlan…
1. Nein, ich bin kein Abba-Fan. Gleich vier oder fünf User (sagt man so?) zeigten sich überrascht/erfreut/schockiert darüber, daß ich weiter oben einige Abba-Singles überaus großzügig besternt habe. Diese Wertschätzung bezieht sich aber nur auf die genannten 45s, etliche andere sind indiskutabler Mist und auch auf den LPs findet sich für mich nur äußerst selten Hörenswertes (die beste Abba-LP, „Arrival“, ist mit * * * gut bedient). Ist ja so eine Sache mit Abba: einerseits begnadete Melodiker und anfangs wahre Instinkt-Täter, andererseits furchtbar banal, bombastisch und strategisch angepaßt ans Anforderungsprofil einer aufs Mitsingen, Mitpfeifen und Mitklatschen geeichten, popmusikalisch eher unterbelichteten Masse. Familientauglicher Plastikpop halt, freilich handwerklich auf hohem Niveau. Ich erzähle nichts Neues? Nun, ist auch nur eine Antwort an besagte paar Neugierige. Und eine durchaus ambivalente dazu. Greg Shaw, der in seinem Fanzine „Bomp!“ Mitte der 70er Jahre den Begriff „Powerpop“ prägte und die frühen Abba-45s dazurechnete, wurde damals von der Gitarren/Punk-Fraktion dafür geprügelt. Aber er lag absolut richtig. Abba mögen nie „cool“ gewesen sein (wie auch, bei diesen Klamotten), aber sie beschämten mit einigen Singles viele ihrer „cooleren“ Konkurrenten. So viel organische Melodik, Drive und, ja doch, Power hatten die wenigsten Bewohner des „Bomp!“-Universums. Shaw erkannte das, doch war ihm gleichzeitig recht mulmig deswegen. Immerhin wollte er nicht den Eindruck erwecken, sich gemein machen zu wollen mit der mehrheitlich dumpfen Abba-Fan-Gemeinde. So schrieb er sich seinerzeit einen Notausgang in sein Fanzine, der sich als gangbar für die meisten erwies: danach war es cool, ja geradezu ein Beweis für Coolness, wenn man Abba-Singles besaß (und liebte), sofern halt daneben die Raspberries standen und die Shoes und Big Star. Erst die Mischung von Abba mit, sagen wir, Boney M oder ähnlichem Blöd-Pop, entlarve den Musikkonsumenten als verachtungswürdiges Subjekt. Tja, so war das damals. Die Angst, von den Spindoctors des Powerpop und ihrer Gefolgschaft nicht für voll genommen zu werden, verursachte manche schlaflose Nacht. Später hat Shaw selbst darüber gelacht, wobei: zurücknehmen mußte er ja nichts.
2. Ein paar Leute wollten Begründungen für meine Aversion gegen deutschsprachigen Pop/Soul/Country/Hiphop/etc. und begehrten zu wissen, ob mir die „Neue Deutsche Welle“ wirklich so garnichts gegeben hätte. Die sei doch so herrlich „bunt“, „schräg“ und „lustig“ gewesen. Eben! Nein, Hanswurstiaden, organisierte Albernheit und idiotische Frisuren gehören für mich nicht zu den Bestandteilen großer Pop Music. Natürlich gab es auch einige erträgliche Acts, die mir nichts sagten, die aber respektable Sachen machten (Dorau, Mittagspause, Fehlfarben, etc.), aber zu mindestens 95% war die NDW ein Graus für mich. Am schlimmsten: DAF! Ekelhaft. Daneben verlieren sogar Reinhard Mey, David Hasselhoff und die Sportfreunde Stiller ihren Schrecken. Okay, das ist jetzt doch übertrieben. Dennoch: nein, danke. Zur Eindeutschung anglo-amerikanischer Musik (ob Garage Punk oder Bluegrass) habe ich weiter oben im Thread bereits das Nötige gesagt. Bitte nachlesen.
3. Schließlich und endlich wieder das ewige, leidige Thema, von einem runden Dutzend PN-Schreiber auf die eine oder andere Art auf’s Trapez gebracht: der Digitalismus. Oder besser: der (umstrittene) Umgang damit. Ich werde mich hüten, diesen „Streit“ hier erneut anzuzetteln. Ich führe ihn ja seit mehr als 20 Jahren, in Publikationen, bei Podiumsdiskussionen, in Gesprächen mit Experten, usw. Hier ist definitiv nicht der Platz dafür. Ein schneller Scan des aktuellen Threads „Vinyl vs. CD“ zeigt das abermals überdeutlich. Ein Drittel ist pure Ignoranz, ein Drittel naßforsches Gemeine, der Rest schlichtes Gewäsch wie „ist doch egal welche Tonträger man bevorzugt, es kommt doch schließlich auf die Musik an“. Solche Bezeugungen der Anspruchslosigkeit und Gleichgültigkeit ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Forum. Die Diskussion führe ich mithin lieber woanders („wie arrogant ist das denn“ wehklagen die Muffimuffis, Dicks und MagneticFields – viele, viele grinsende Smileys mit Bierkrügen!!!). Statt also zum xten Mal in einen Streit mit Leuten einzutreten, denen die CD gute Dienste leistet, nur zwei Statements zu den per PN gestellten Fragen. A) Ja, ich habe intensive und extensive Erfahrungen gemacht mit digitaler Klangproduktion und -reproduktion. Gar habe ich im Studio digital gearbeitet, eine Platte produziert mit allem drum und dran, und dieselbe auf meinem Label veröffentlicht. Mit eindeutigen Credits auf dem Cover: „Digitally produced and mixed…“. Ein scheußlicher Fehler, den man wohl erstmal machen muß, um ihn als solchen zu erkennen. Hat jedenfalls enorme Anstrengungen gekostet, besagter Platte beim Mastering wieder etwas Leben einzuhauchen. Und B) Nein, ich hasse CD-Hörer nicht. Ich hasse CDs. Das ist ein Unterschied, n’est-pas? Da ich nun aber CDs und alles wofür sie stehen hasse (aus tausend guten Gründen bis hin zu Kulturverlust qua Denaturierung des Hörens) und Schallplatten liebe (auch das wohlbegründet), bin ich über die Maßen interessiert an einem produktiven, auf allen Ebenen (Musiker, Studios, Labels, Vertriebe, Läden, Medien) infrastrukturell funktionierenden Vinyl-Markt. Der nur herzustellen ist bzw. am Laufen gehalten werden kann, wenn eine möglichst große Nachfrage den nötigen Anreiz schafft. Logisch. Ebenso logisch ist, daß ich die Hegemonie des Digitalen im Tonträgerbereich als gewaltiges Problem sehe und daß ich deshalb Musikkonsumenten in zwei Gruppen einteile: in solche, die Teil des Problems sind. Und in solche, die Teil seiner Lösung sind. Mit letzteren tausche ich mich gerne aus. Im Begriff der Fachsimpelei steckt zwar „simpel“, aber, nun ja, es macht Spaß und wird als seelisch wie intellektuell gewinnbringend verbucht, mit Menschen derselben Wellenlänge zu kommunizieren. Okay? Ist nicht schwer zu verstehen.
Nun ist der Sermon etwas ausgeufert, sorry. Wäre u.U. schneller gegangen, die PNs einzeln zu bearbeiten. Man gestatte mir jedoch noch eine persönliche Anmerkung: wenn mir einer (etwa per PN) mitteilt, daß er weder den RS liest noch „Roots“ hört, mich aber gern mit Fragen löchern würde, so empfinde ich das als dreist. Für mich ist dieses Forum nicht mehr als ein Wurmfortsatz des Printmediums „Rolling Stone“, und „Hang The DJ“ nicht mehr als eine begleitende Kolumne zu meiner dortigen Präsenz sowie zur Radiosendung. Gerne werde ich auch weiterhin in diesem Rahmen Auskunft geben. In diesem Sinne…
Cheers.
Nachtrag (fast vergessen): der Aufforderung, mich an einer Diskussion über „die virtuose Band Toto“ (!) zu beteiligen, werde ich nicht nachkommen. Ich wüßte auch nicht, was man Sinnvolles über dieses Audio-Äquivalent einer parfümierten Kleenex-Rolle sagen könnte. Außer eben das.
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