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Wolfgang Doebeling@ GuitarMan
Wußte doch, daß da noch was war.
Abenteuerlich? Kaum. Ich führte mit Bob Johnston, der ja für Elvis unter Pseudonym Songs schrieb in den frühen Sechzigern, vor Jahren einige längere Gespräche. Die drehten sich zwar nicht primär um Elvis, aber eben auch. Johnston hatte wie gesagt ein paar (lausige) Songs für Elvis-Soundtracks geschrieben und war mehr als einmal im Studio dabei, als Elvis anhand von Demos die Songs (kurz) einübte, bevor sie aufgenommen wurden. Das grenzte bisweilen an Fließbandarbeit (und hörte sich auch so an). Wenn die Zeit davonlief und er am Set erwartet wurde, sang Elvis auch schon mal auf Pilotbänder, die dann, nachdem er gegangen war, mit ordentlichem Backing versehen wurden. Lamar Fike hat dem später nicht widersprochen, meinte nur, das sei nicht die Regel gewesen und Elvis habe „immer sein Bestes gegeben“.
Dieses „hat immer sein Bestes gegeben“ läuft mir in der „Elvis-Welt“ ständig über den Weg und soll scheinbar jeden Mist erklären. Ich kann es nicht mehr hören. Aber egal.
Ich gehe dann mal davon aus, dass sein Pseudonym Joy Byers war, also seine –spätere- Frau? Dass Johnston selbst diese Lieder schrieb, ist mir neu. Weißt Du, ob allein oder in Zusammenarbeit mit Byers?
Die Byers-Lieder wären dann vorwiegend Soundtrack-Lieder von 1963 bis 1968, was durchaus zu der Einschätzung „Fließbandarbeit“ passt. Und sie sind auch für meine Ohren tatsächlich im besten Fall ertragbar, zumeist allerdings ärgerlich (abgesehen von dem Nicht-Soundtrack-Song It hurts me, den ich für eine von Elvis’ schönsten Nashville-Balladen halte). Wie dem auch sei… nochmals zu den Pilotbändern.
In dieser Zeit wurden Aufnahmen für Soundtracks teils mit Band im Studio eingespielt, teils sang Elvis auf bereits eingespielte Bänder – allerdings auf die Master-Backingbänder. In den entsprechenden Fällen war die Band grundsätzlich ein/zwei Tage vor Elvis im Studio und spielte die Instrumentaltracks (manchmal auch in mehreren Versionen) ein, so dass Elvis später dazu dann seine Vocals lieferte.
Die großen und bekannten Sessionbücher (Tunzi, Jorgensen) listen die ganzen Einzelheiten derart detailliert auf, dass sämtliche Overdub-Sessions und -Arbeiten nachzulesen sind. Durchaus gibt es Sessions, bei denen Elvis mit Band im Studio war und früher ging – dann spielte die Band aber die restlichen Songs ein und Elvis besang sie später. Aber die Variante „erst Master-Vocal, dann kompletter Master-Backing“ taucht nirgendwo auf. Die Sessions sind inzwischen einfach zu gut dokumentiert, als dass Einspielungen egal welcher Art –und das wären ja nun recht wichtige gewesen- einfach „durchs Netz“ fallen würden. Was vor Take 1 geschah – davon habe ich natürlich keine Ahnung. Da kann durchaus im Studio zu Pilotbändern geprobt worden sein.
Verstehe mich nicht falsch – ich streite natürlich nicht ab, dass es Johnston so gesagt und gemeint hat. Trotzdem glaube ich für meinen Teil in diesem Fall eher den Leuten, die sich in den letzten Jahren durch all die Aufnahmebänder, Archive und Unterlagen gewühlt haben, als über 30 Jahre alten Erinnerungen. (Wird allerdings sowohl Johnston als auch Dir egal sein :lol:.)
Gut möglich (wahrscheinlich sogar), daß das für „Crying“ nicht zutrifft. Trotzdem scheint als gesichert zu gelten (etwa bei Guralnick nachzulesen), daß ein wesentlicher Grund für die Nichtveröffentlichung vor 1965 Elvis‘ Unzufriedenheit mit der Aufnahme war. Zuerst hieß es, das Backing hätte ihm nicht gefallen (was obigem Verdacht Futter gäbe), dann galt lange Zeit als Begründung, was RCA verlautbart hatte (Probleme mit Publishing-Rechten), schließlich bestätigten verschiedene Quellen (u.a. in Guralnicks Fußnoten), daß Elvis mit seiner eigenen Sangesleistung unzufrieden war, weil er meinte, sie halte früheren Versionen anderer Künstler nicht stand.
Was aber trotzdem nicht bestätigt, dass vor Veröffentlichung noch irgendetwas neu eingespielt oder –gesungen wurde. Gerade bei einem Song von derartiger Wichtigkeit fällt mir der Glaube an Recherche- und Aufzeichnungslücken besonders schwer, wo beispielsweise die Overdubs für (eine im Erfolgs- und Bekanntsheitsvergleich zu Crying Nebensächlichkeit wie) „Tomorrow night“ bis hin zur Geschwindigkeitsdrosselung dokumentiert sind.
Aber, um auf mein Ursprungsanmerkung zurückzukommen: Crying ist auf keinen Fall eine „Mittsechziger-Aufnahme zu How Great Thou Art“. :rolleyes:
Wie auch immer, ich bleibe dabei, daß es kein Zufall war, Gospel-Sessions anzuberaumen nach diesem seinem größten Hit in Jahren. Wenn ich ich mich recht erinnere, benutzt Guralnick in diesem Zusammenhang das Verb „to capitalize“. Im Sinne: „How Great Thou Art“ capitalized on the success of „Crying In The Chapel“. Kein wörtliches Zitat (ich habe das Buch gerade nicht zur Hand), aber sinngemäß. Was Deinem „Fremdkörper“-Verdikt nicht widerspricht, aber deutlich macht, daß dieses Album schon ein cash-in war (und ja so auch bestens funktionierte).
Das habe ich nie bestritten, siehe Posting weiter vorne. Glücklicherweise funktionierte es in dieser durchaus dunklen Elvis-Zeit auch in Bezug auf die Qualität bestens (und lässt mich gerade von einem „Hank Williams“-Cash-In mit „Your cheatin’ heart“ als Vorläufersingle träumen…).
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