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lathoAber es ist ein Unterscheid, ob eine Szene von Riefenstahl, meinetwegen auch Breker beeinflusst ist (und das mit kramers Ava ist viel zu kurz gegriffen, da ist die ganze Klassik vor), siehe Star Wars, siehe 80er Jahre Werbeclips oder ob man in provozierender Absicht Clips aus den Filmen verwendet.
Das macht noch alles kein Nazitum aus, aber diese dummdreiste, berechnende Art in den Auftritten kann man Rammstein schon nachsehen.
Was mich zunächst zu der provozierenden Frage führt, ob man eigentlich nach Auschwitz noch Gedichte schreiben bzw. nach Breker noch dem Klassizismus huldigen darf? Wenn ja, sollte man sich doch zumindest der Implikationen dieses die klassische Ästhetik ausbeutenden Seitenstrangs in der Mitte des 20. Jahrhunderts bewusst sein. Und dies umsomehr, wenn man in Diskussionen das Zitat einer solchen Ästhetik – und natürlich ist Riefenstahl nahe dran an einem „bewegten“ Breker – als verdammenswert in die Hölle wünscht.
Was mich dazu bringt, über die Frage der Provokation nachzudenken. Lindemann war Leistungsschwimmer (1.500 m) und stand vor der Olympiafahrt, aus der er wegen Unbotmäßigkeit von Funktionären ausgebootet wurde. Leistungsschwimmer haben im Gegenteil zu mir nunmal exakt solche Körper aufzuweisen, wie sie Riefenstahl inszenierte. Könnte es nicht sein, dass dieser Mensch auf der Suche nach künstlerischem Ausdruck etwas ganz anderes in den Bildern sieht und damit verbindet als du oder ich oder andere? Sollte man nicht wenigstens dies einmal als Interpretationsszenario in Betracht ziehen, um nicht ignorant an Verständnismöglichkeiten vorbei zu eilen?
Denn es ist ja immer noch Zeit, auf die vielfältigen Konnotationen und Verstrickungen hinzuweisen, denen die Bilder unterworfen sind. Zumal den Westlern unter uns sie ohnehin nicht anders bekannt sind als pädagogisch in dieser Richtung aufbereitet. Wie tief der Konditionierungsreflex der hiesigen kulturellen Überlieferung (und bitte, bitte: als neutralen Begriff werten) hier greift, hat sich doch gerade in diesem Thread gezeigt. Bildmäßig wird ja auf klassische Schönheitsinszenierungen zurück gegriffen, die als „reines“ Bild auf den einen oder anderen ästhetisch wirken kann. Nicht umsonst gilt Riefenstahl zwar als belastet, wird aber zugleich wegen ihrer ästhetischen Bild-Sprache von vielen auch „Unverdächtigen“ als künstlerisch bahnbrechend empfunden.
Das Ganze ist zweischneidig und entsprechend umstritten. Du und viele andere unterstellen nun automatisch, dass Rammstein dies bewusst gewesen sein muss. Kann man machen, muss aber nicht wirklich so sein. Die Entschuldigung und Zurücknahme Lindemanns ist bekannt und wurde hier bereits thematisiert. Vielleicht war es ihnen wirklich nicht klar?
Das ist ja aber auch schon wieder egal. Denn: Sie haben damit provoziert, das manifestiert sich ja hier ganz offensichtlich und ohne Frage – und das ist gut so, sage ich. Kunst, die nicht provoziert, sollte im biedermännischen Wohnzimmer bleiben. Wer die eigene Ambivalenz angesichts wie auch immer schockierender Bilder nicht begreift und aushalten kann, für den ist das entweder je unbegreifliche Faszination oder Provokation – der sollte dann aber auch nicht Koch werden (wenn ihm die Küche zu heiß ist …) oder sich nicht bemüßigt fühlen, mit dem Hintergrund einer eigenen begrifflichen Unzulänglichkeit sich zum Kunstkritiker aufzuwerfen. Kann man natürlich machen, muss man aber nicht. Es wirkt unter dem Strich tatsächlich einmal wirklich spießig.
Ob Rammstein übrigens dummdreist und berechnend sind oder waren, weiß ich nicht. Kann sein, dann waren sie eben damit extrem erfolgreich. Ich tippe eher, die machen mal aus ihren eigenen Geschichten so drauflos, und eins ergibt das andere. Diese Frage ist für die Beurteilung ihrer Kunst/Musik und deren Wirkung aber auch nebensächlich.
Persönlich lässt mich ihre Musik und Kunst übrigens recht kalt – es regt mich einfach nicht auf, weder so noch so. Mir ist das Ganze zu plakativ, zu kleiner Nenner und zu offensichtlich. Da sind sie aber nicht alleine: „Große Rockshows“ haben alle einen Spektakelcharakter. Findet „Rock im Park“ nicht auf dem ehemaligen Reichsparteigelände in Nürnberg statt?
„On the values by which this world makes its heroes
then the best violinist ever was Nero,
because he had the most Press
and his fire gimmick was simply the best.
We got the live thing too, the Human Zoo:
Ten thousand arms are raised, just like the Hitler Youth –
Ten thousand peace signs mark the entry of the sax;
ten thousand peace signs,but they’re different from the back“
Peter Hammill, Two or three Spectres (übrigens eins der besten Stücke über das Musikbusiness, wenn nicht das beste überhaupt, hiermit allen wärmstens empfohlen)
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The only truth is music.