Antwort auf: Das Piano-Trio im Jazz

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gypsy-tail-wind
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Chick Corea – Now He Sings, Now He Sobs | Drei Sessions in den A&R Studios in New York im März 1968, bei denen nicht nur die 40 Minuten der LP eingespielt wurden sondern noch eine halbe Stunde mehr Musik, die für die CD-Reissues seit den Achtzigern mit zum Album gehört, aber davor schon auf „Circling In“, einem der „brown bag“-Twofer von Blue Note, erschien … famose Aufnahmen mit Miroslav Vitous und Roy Haynes, noch heute unglaublich frisch klingen. Alle drei haben Biss, Eleganz, spielen mit einer schlanken Leichtigkeit – gerade Haynes mit seinem hellen Sound macht sich ganz hervorragend. Haynes, der Veteran, wurde am Tag vor der ersten Session 43 Jahre alt, Vitous war 20 Jahre jung und Corea selbst mit seinen 26 schon länger im Geschäft, als man denken könnte (Mongo Santamaria, Willie Bobo, Blue Mitchell, Herbie Mann, Stan Getz …). Vitous‘ Bass ist beweglich und hat zugleich einen tollen Beat und auch Tiefe mit schönem Sound – und wenn ich das wieder höre, dünkt mich, er trägt quasi allein die Evans-Trio-Tradition in dieses neue Trio rein. Denn Corea klingt eher wie eine deutlich avancierte Version von Tyner, auf eine flinkere Art beweglich und mit einer anderen Tonalität, die ich kaum beschreiben kann: er klingt für mich etwas bitter, etwas sauer – und ich meine das durchaus als Kompliment, denn das führt zu dieser Frische, und es setzt ihn eben auch von Herbie Hancock (der klingt halt wie Wassermelone) oder eben Tyner (wie klingt der denn, wie eine ein Sonnenaufgang?) ab: Corea klingt wie eine wolkenlose Vollmondnacht, der Schein blendet fast, so durchdringend ist er, und lässt doch alles im Schatten, lädt die Dinge mit Geheimnissen auf, die im Tageslicht gar nicht zu erahnen sind. Auch wenn das Trio im langen Opener „Steps – What Was“ im letzten Drittel in spanische Gefilde abdriftet (später wurde aus dem Material hier das Stück „Spain“) und Corea in enger Verzahnung mit Vitous über drei wiederholte Akkorde rifft, bleibt das Geheimnis intakt. Und wie Haynes dazu spielt, kommentiert, Akzente setzt, Impulse gibt – das ist wirklich immer wieder überraschend. Auf „Now He Sings, Now He Sobs“ stimmt wirklich alles, nicht nur die Chemie zwischen den dreien, auch der Sound, das Material, der Ausgleich im Trio, das einen ständigen, sehr offenen Dialog führt, nicht nur bei verschränkten Soli oder Fours … ein beeindruckendes Album!

Beim Bonusmaterial war immer „My One and Only Love“ ein Favorit von mir, neben Monks „Pannonica“ der einzige Standard der Session – aber warum die acht kurzen Stücke, teils schon etwas konventionelleren Stücke, nicht auf dem Album landeten, ist im Rückblick schon nachvollziehbar, denn dieses ist für sich genommen, wie @vorgarten bereit geschrieben hat, tatsächlich perfekt. Und in Ermangelung anderer Trio-Alben aus der Zeit (von Hancock oder Tyner vor allem) füllt es auch eine Leerstelle und markiert nochmal ein neues Kapitel, dünkt mich … das ist nicht wie die Alben von Friedman, Kuhn, Zeitlin usw. eine Fortschreibung der Tradition mit den Neuerungen von Evans als Ausgangspunkt, sondern wieder etwas Neues – ohne das ich das genauer greifen könnte. Im kurzen, geräuschhaften Closer des Albums spielt das Trio frei – aber wiederum auf eine recht sille, ruhige Art, die wenig mit dem Free Jazz der Jahre direkt davor zu tun hat, eher schon vorwegnimmt, was Corea bald mit Circle machen sollte – wo mit Barry Altschul ein Schlüssel-Sideman aus dem Umfeld Paul Bleys dazugehören sollte. Wie gesagt: da öffnen sich neue Felder.

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