Antwort auf: Das Piano-Trio im Jazz

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gypsy-tail-wind
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Keith Jarrett Trio – Somewhere Before | Auch das zweite Album von Keith Jarrett lief gestern spät schon wieder – und jetzt erneut. Zurück im Club von Shelly Manne, der im Sommer 1968 natürlich definitiv nicht mehr am falschen Ozean lag, wenn es um aktuelle Musik ging … dass hier Pop-Sensibilität vorhanden ist, Folk ebenso wie Gospel ins Gewebe des Trios eingebaut wird, passt zur Geographie. Hadens Bass singt schon im Dylan-Opener „My Back Pages“ fast so schön wie das Klavier von Jarrett, während Motian einen mitreissend, tänzelnden Beat trommelt, zugleich federleicht und mit allem Gewicht der Erde. Als ich das Album zum ersten Mal hörte, konnte ich damit gar nichts anfangen – und bei späteren Jarrett-Vertiefungen liess ich es, wie das Debut, oft weg … doch momentan gefällt es mir überraschend gut, besser wohl auch als das Debut, weil es so offen ist, in so viele Richtungen geht und des dem Trio meistens dennoch gelingt, die Fäden in der Hand zu halten. Aufgenommen wurde das Album am 30. und 31. August – und ohne den Lagerbrand bei Atlantic und Jarretts redaktionelle Strenge wäre da vielleicht auch eine erweiterte Ausgabe mit zwei, drei CDs vorstellbar … vermutlich käme da nicht mehr zu Vorschein, als hier geboten wird, aber bei der Kürze der ausgewählten Stücke bin ich neugierig, ob es da wirklich keine ausgedehnten musikalischen Trips gab, wie Jarrett sie damals ja auch mit Charles Lloyd längst pflegte (ich erinnere nur an die zwei halbstündigen Tracks vom Konzert aus Montreux 1967, das auf TCB erschienen ist). Manches hier wirkt unfertig, als breche es mittendrin ab – aber wenn ich das bei Zeitlins letzten Columbia-Sessions auch schon dachte: vielleicht lag sowas auch in der Luft? Statt einer Themenrekapitulation, einem Schluss, einer Coda einfach aufhören, wenn man fertig ist? Warum auch nicht! Das Titelstück ist mit sechseinhalb Minuten das längste hier, eine einfache Melodie, Jarrett rhapsodiert im Zundholzschachtelformat (Köln Concert in drei Minuten) und Haden prägt das alles – es fällt hier wieder auf, dass das Klavier zu leise ist – das ist keine luxuriöse Aufnahme wie bei Legrand, ich glaub die Erteguns mochten das Klavier sowieso noch weniger als RVG (drum hab ich zu dem Album was von „Garage“ geschrieben weiter oben) – und dennoch passt der Sound perfekt zur Musik. Der „New Rag“ mittendrin ist sicher ein Highlight hier – Jarrett gräbt sich ein in einen Rhythmus, der sich wohl irgendwie auf Ragtime bezieht (dass da was aktualisiert wird, glaube ich eher nicht, denke er hat das eher erfunden, fiktive Roots-Pflege irgendwie), der Groove ist zerklüftet und fliesst dennoch, der Pianist wirft Kürzel rein, der Drummer kriegt endlich mal ein Solo … wirklich toll. In der Albumdramaturgie muss das dann gleich mit der Rubatoballade „A Moment for Tears“ mit gestrichenem Bass aufgefangen werden, noch nach einem letzten Original und dem einzigen Standard, einer tollen Version von „Dedicated to You“, gibt es zum Ausklang noch den „Old Rag“ – und hier ist das Trio wohl näher am alten Ragtime. Toll ist, wie Motian damit umspringt, denn Drums waren da ja nie vorgesehen und im Gegensatz zum Bass, das irgendwas aus der linken Hand es Klaviers spielen kann, muss Motian seinen Part erst erfinden – und so offenbart sich in zwei Minuten sein ganzer, zupackender Individualismus.

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