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Paul Bley – Ballads
Barry Altschul / Paul Bley / Gary Peacock – Virtuosi
Keith Jarrett – Life Between the Exit Signs
Denny Zeitlin – Zeitgeist
Ich soll mich also sputen? Schwierig, wenn es so viel tolle Sachen (wieder) zu hören gibt! Auch „Ballads“ wollte nochmal in den Player, das andere ECM-Album von Bley von bevor es ECM gab und dasjenige, das den „ECM-Sound“ in geradezu gespenstischer Weise vorwegnimmt – zwei Stücke mit Mark Levinson und Barry Altschul vom März 1967 auf der B-Seite, ein noch längeres mit Gary Peacock und Altschul vom Juli als A-Seite. Musik ohne Bewegung, irgendwo zwischen Satie und Beckett, Musik der leeren Ebene – auf der allerdings alles in ständiger Bewegung ist, ohne irgendwohin zu wollen. Das finde ich weiterhin enorm faszinierend, und es ist irgendwie längst ein Lieblingsalbum geworden, obwohl gewisse Vorbehalte bleiben. „Virtuosi“ enthält auch zwei lange Stücke, dass Bley hier in der Mitte genannt wird, ist unwichtig, das Konzept ist dasselbe, es funktioniert ebenso gut – wie erwähnt: Bley produzierte damals in der Regel selbst und brachte das Zeug dann irgendwo unter, die zwei Stücke von Ende Juni 1967 dann halt bei seinem eigenen Label Improvising Artists Records, gegründet 1974 zusammen mit der Video-Künstlerin Carol Goss.
Keith Jarrett, der Wunderknabe, bei dem alle früh den Kniff drauf hatten, ihn auf Fotos so abzubilden, dass der halbe Westen lange dachte, er sei Schwarz … George Avakian, damals bei Atlantic tätig, brachte das Album zwar auf dem Sublabel Vortex heraus, liess ihm freie Hand für die Wahl der Sidemen und Musik für die Session am 4. Mai 1967. Charlie Haden und Paul Motian sollten es werden, das Bezugsfeld von Bill Evans zu Paul Bley ist damit aufgespannt. Das ziehe ich gerade vor die letzte Runde von Zeitlin, die etwas früher fertig wurde – die Aufnahmen mit Haden und Granelli vom April 1966 blieben grossteils bis 2009 im Archiv, zu zwei Stücke landeten auf der LP, die dann bei einer dritten Session im März 1967 mit neuem Line-Up – Joe Halpin (b) und Oliver Johnson (d) – fertiggestellt wurde. Haden auch hier also … und ja, der kriegt, wie @vorgarten beschrieben hat, bei Jarrett sehr viel mehr Raum, kann seinen Bass anders atmen lassen, was sehr toll ist. Allerdings höre ich anders als @vorgarten bei Jarrett doch noch deutlich mehr Absicht (um nicht Richtung zu sagen) als bei Bley. Er spielt einen „Lisbon Stomp“ zum Einstieg, dann zwei weitere Originals, „Love No. 1“ und „Love No. 2“, bevor Teil eins mit Cole Porters „Everything I Got“ endet. Seite 2 enthält dann vier weitere Originals, von denen das erste, „Margot“, fast wie ein richtig auskomponierter Song wirkt und ein Klavier-Solo bietet, das motivisch unterwegs ist und wohl schon den Kern des ganzen Rhapsoden Jarrett enthält. Da sind diese Akkorde (viel Evans drin, aber Jarrett findet Eigenes zum Beigeben, andere Schattierungen, da und dort einen ganz feinen Touch funky). Anderes bleibt tatsächlich kürzelhaft, aber auch da höre ich einen anderen Drive – selbst wenn die sich im Kreis drehen (z.B. in „Long Time Gone (But Not Wirhdrawn“), machen sie das mit voller Absicht, dünkt mich, und das unterscheidet die Musik doch stark von derjenigen Bleys. Das ist nun bisher echt kein Lieblingsalbum – überhaupt fremdelte ich mit dem frühen Jarrett (bis zum Anfang des American Quartet) lange sehr, aber das hat sich gelegt und ich finde es gerade sehr interessant, das Album im neuen Kontext zu hören (Hamburg 1972 werde ich allerdings weglassen, das wäre dann für ein anderes Mal wieder – überhaupt habe ich einiges von Jarrett rausgelegt, aber glaube nicht, dass ich das schaffen werde).
Denny Zeitlin dann – das Album wurde erst im März 1967 fertiggestellt, aber enthält auch ein paar Stücke (nicht ganz die ganze B-Seite) vom April 1966 noch mit Haden/Granelli – und die sind in der Zwischenzeit einen weiten Weg gegangen. Über ein Jahr ist seit den Live-Aufnahmen aus dem Trident verstrichen, Zeitlin findet jetzt auch immer wieder Momente der Ruhe, die sich sehr schön einfügen zwischen die üblichen hektischen, metrisch vertrackten Stücke mit ihren sich oft überschlagenden Improvisationen (Krawall, Karneval … aber auch Tristano-Verdichtungen). Der Geist ist ein anderer, Haden ist natürlich weniger frei als bei Jarrett ein Jahr später, aber freier als zuvor bei Zeitlin. Das Bonusmaterial von den April-1966-Sessions würde bei anderen ein ganzes Album füllen (32 oder 33 Minuten hat Mosaic ausgegraben, und vom März 1967 auch noch über 20 Minuten).
Das Album selbst ist wie längst üblich bei Zeitlin wieder lang, 50 Minuten dieses Mal. Los geht es mit „Dormammu“ – und da ist auch mit dem neuen Line-Up wieder die rasante Verdichtung. Wobei ich den Vorgänger am Bass halt gleich vermisse (Haden ging 1966 nach New York, Granelli „became involved in other musical interests“, wie Zeitlin 2008 in seinem Einführungstext für das Mosaic Select schreibt). Es folgt „Put Your Little Foot Right Out“ (Miles Davis-Fans als „Fran Dance“ bekannt) – da findet Zeitlin Momente der Ruhe, klingt aber auch nähe an Evans als je zuvor, dünkt mich. Im ebenfalls kurzen „The Hyde Street Run“ gibt es eine Art Bossa-Beat vom jungen Oliver Johnson (später in Paris, wo er wohl 2002 im Alter von 57 Jahren ermordet wurde, krass – oft mit Steve Lacy zu hören, auch auf diversen Aufnahmen). In „Here’s that Rainy Day“ versuchte Joe Halpin, in die Fussstapfen des Vorgängers zu treten und macht einen ganz ordentlichen Job – aber sein Ton reicht irgendwie nicht ganz, er hat die Tiefe und den Holz-Sound, aber da singt nichts (mag teils an der Aufnahme liegen). Als viertes kurzen Stück dann „I Got Rhythm“ und hier ist das Tempo wieder hoch – „the raggy Gershwin, Schoenberg and Tristano woven into this Zeitlin fabric“, schreibt Phil Elwood in den Liner Notes. Feuerwerk mit Dissonanzen. Teil 1 endet wie er begann mit einem längeren Stück, „Maiden Voyage“ von Herbie Hancock, dem Zeitlin eine andere Tönung gibt, die ebenfalls sehr schön ist – Johnsons Becken sind etwas aufdringlich, aber je länger das Stück dauert, desto toller finde ich sein freihändiges Spiel hier (er war gerade mal 22). Teil zwei öffnet mit zwei kurzen Stücken, das erste mit Haden/Granelli und einem Latin-Beat, „Offshore Breeze“ von Zeitlin (wie „The Hyde Street Run“ nach einer Strassenbahnlinie in San Francisco benannt), danach mit Halpin/Johnson „Night and Day“, das eine Reharmonisierung verpasst kriegt. Danach der main event des Albums, „Mirage“, 17 Minuten lang, mit Haden/Granelli, in zwei Teilen, von denen erste „‚theme and variations‘ type“ laut Elwood in der Form 3/3/5/5/2/13/4/4/3/3/3/13 daherkommt … ich versuche nicht, mitzuzählen. Die Soli von Granelli und Zeitlin sind dann frei, und nach dem Klaviersolo geht’s in Teil 2 über, wo dann Haden sein freies Solo kriegt, bevor am Ende das erste Thema wiederholt wird. Das ist schon ein Highlight in Zeitlins früher Diskographie, finde ich – überhaupt verdiente das Trio von Zeitlin etwas mehr Beachtung, besonders die Aufnahmen mit Haden und Granelli.
Highlights aus dem Bonusmaterial mit Haden/Granelli (16. und 17. April 1966): die Ballade „The Journey Home“, wie die veröffentlichten Stücke von der ersten, sowie die Free-Ballade „Labyrinth“ von der zweiten Session, beides Zeitlin-Stücke:
Es gibt vom 17. April 1966 auch eine kurze, skizzenhafte (ohne richtigen Schluss, aber sowas gibt’s auf dem Album selbst ja auch) Version von André Previns Walzer „Living Alone“ aus dem druckfrischen Score zum Film „Harper“ mit Paul Newman – Zeitlin schreibt, dass das das einzige Mal gewesen dass sein Produzent bei Columbia, John Hammond, ihm Material zugesteckt habe – „and I was glad I was drawn to the tune“:
Beim Bonusmterial mit Halpin/Johnson finden sich weitere schöne Stücke – das alles hätte auch gut nochmal zwei Alben ergeben, eins mit Haden/Granelli und eins mit Halpin/Johnson, auf dem dann auch die introspektive Ballade „The Bells of Solitude“ gelandet wäre, die Zeitlin im Duo mit Halpin einspielte:
Oder „Western Thing“, ein 10/4-Stück, in dem Johnson glänzt – aber erst nach einem längeren, ruhigen Intro:
Oder die Solo-Version von „Spring Is Here“, die Zeitlin am Schluss der Session aufnahm, als im Studio noch etwas Zeit verblieb:
Das Material bietet für meine Ohren doch einiges an neuen Facetten, die auf dem eigentlichen Album zwar auch vertreten sind – aber eben: da wären definitiv zwei gute Alben drin gewesen!
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