Antwort auf: Das Piano-Trio im Jazz

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Wynton Kelly – Wynton Kelly! | Bill Evans wurde ihm von Miles Davis zwei Jahre zuvor vor die Nase gesetzt, heraus kam „Kind of Blue“ … aber Kelly ging irgendwann 1961 mit der Rhythmusgruppe von Davis eigene Wege und spielte durch die Sechziger hindurch unter eigenem Namen und mit diversen anderen wichtigen Leuten. Neben offiziellen Aufnahmen mit Wes Montgomery („Full House“, „Smokin‘ at the Half Note“) entstanden Leader-Alben im Trio (mit etwas Extra-Percussion), im Quartett mit Kenny Burrell und einem auch eins mit Trio, Burrell und Orchester unter Claus Ogerman für Verve, später ein Milestone-Album mit Ron McClure am Bass (der öfter einsprang, wenn Chambers verhindert war). Dazu kommen Dokumente aus der Left Bank Jazz Society mit Joe Henderson (legendär), Hank Mobley (Cecil McBee als Einspringer am Bass) und George Coleman (wieder McClure) und mehr … für Vee Jay entstand an zwei oder drei (das weiss man nicht sicher) Tagen im Juli 1961 ein zweites Trio-Album, von dem so ausgiebig Material überliefert ist, dass es auch 2-CD-Ausgaben davon gibt). Acht Stücke wurden auf „Wynton Kelly!“ veröffentlicht, zwei weitere auf dem Teil-Reissue „Someday My Prince Will Come“, von den zehn Stücken gibt es total 23 Takes, fast alle Alternate Takes mit Chambers/Cobb, wobei der Bassist zur zweiten Hälfte des zweiten Tages (oder eben: am dritten Tag) durch Sam Jones ersetzt wurde. Mit dem sind dann noch drei Stücke überliefert (die Single-Version von „Come Rain or Come Shine“ – das spielten damals wirklich alle! – war nur ein Edit des Master Takes.

Los geht es mit „Scotch and Water“ von Joe Zawinul – das früher „Joe’s Avenue“ hiess, weil jemand den Namen des Komponisten, den Kelly im Studio nannte, für den Titel des Stückes hielt – , „Someday My Prince Will Come“, das erste erst auf der gleichnamigen LP veröffentlichte Stück, sowie „Autumn Leaves“, überliefert in sechs bzw. vier bzw. drei Takes, die sich teils erheblich unterscheiden und zeigen, wie das Trio sich als Groove-Maschine zunehmend verfeinert. Der erste Take von „Scotch and Water“ dauert sechseinhalb Minuten, danach wird gekürzt, die weiteren sind zwischen 2:49 und 3:40 lang, das Tempo geht mal hoch und dann wieder runter. Eine kleine Unsicherheit gibt es nur in Take 9 – aber auch da klingt Kelly phantastisch. Die folgenden beiden Stücke stammen natürlich aus dem Repertoire der Davis-Band, die auch ein Album namens „Someday My Prince Will Come“ eingespielt hat – das einzige Studio-Albuum mit Kelly/Chambers/Cobb, die man davor nur auf „Freddie Freeloader“ hören konnte. Nur ein Take ist komplett (Take 5, der von der gleichnamigen LP), aber der erste (Take 2), der nach dem Bass-Solo abbricht, ist besonders toll, weil er als einziger in die ganze Zeit im 3/4 bleibt (und er ist trotz fehlenden Endes eine Minute länger als die drei folgenden) und Cobb ist echt toll hier. Danach fällt das Trio nach dem Thema in einen schnelleren 4/4 – und fällt beim Übergang zurück ins Thema raus (Take 3). Die letzten zwei Takes (5 und 6) verzichten dann gleich ganz auf den 3/4 und fallen nach dem Klavier-Intro direkt in den 4/4, um am Ende wieder zum Solo zurückzukehren. Hier werden die Ähnlichkeiten im Spiel von Kelly und Evans ganz schön hörbar – die Soli von Kelly in allen vier Takes sind erstklassig. „Autumn Leaves“ hatte Davis zwar zunächst mit Cannonball Adderley aufgenommen, danach fand es Eingang ins Repertoire seiner Band und wurde regelmässig gespielt. Kelly hat tolle Einfälle zu den ungewöhnlichen Changes, und wieder ist der erste Alternate Take mit über acht Minuten viel länger als die zwei folgenden (viereinhalb bzw. der Master sechs Minuten). Der schnelle zweite Take bricht bei der Rückkehr zum Thema ab, im dritten wird dann das perfekte, bouncende Tempo für das Stück gefunden, das zu Kellys meistgespielten werden sollte.

Am zweiten Tag geht es mich „Char’s Blues“ los, dem zweiten neuen Stück der „Someday My Prince Will Come“-LP – gewählt hat man Take 1, den kürzesten der drei und einzigen, in dem Chambers sein Solo zupft. Für Take 2 und den erneuten Take 1 (nach einem False Start vergab man seltsamerweise nochmal die Nummer 1) spielt Chambers sein Solo dann mit dem Bogen. Dann folgt ein Re-Take von „Autumn Leaves“, der auch auf der LP „Someday My Prince Will Come landete – die Version ist so kurz wie der kürzeste Take vom Vortag, aber vollständig, und bietet eine längere Passage von Kelly mit Block-Akkorden. Vom nächsten Stück, „Surry with the Fringe on Top“, kriegen wir einen letzten Alternate Take, danach von den letzten fünf Stücken nur noch die Masters. Der Unterschied liegt hier vor allem in den Patterns, von Cobb, die im Master eine Spur toller sind. Kelly hatte das Stück 1957 mit Sonny Rollins für dessen „Newk’s Time“ (Blue Note) aufgenommen, aber hier verneigt er sich am Ende auch vor Red Garland, der auf der Aufnahme von Miles Davis aus dem Vorjahr zu hören ist. Von Gloria Lynnes Balladen-Hit „Love, I’ve Found You“ hatte Kelly im Black Hawk eine Solo-Version gespielt. Hier geht er nach demselben Schema vor, es gibt wieder einen einzigen Chorus, aber er lässt sich von Chambers und Cobb begleiten. „Gone with the Wind“ ist dann die letzte Nummer mit Chambers, noch ein Set von Changes, das Kelly offensichtlich inspiriert – Cobb ist auf der ganzen Länge stark und spielt ein paar Runden Fours mit dem Pianisten.

Danach – oder an einem Tag in unmittelbarer zeitlicher Nähe – kam Sam Jones vorbei und löste Chambers ab für die letzten drei Stücke, von denen es wieder nur die Master Takes gibt: „Come Rain or Come Shine“ wurde zum Opener der LP (und es gab wie erwähnt eine gekürzte Single-Auskopplung davon). Jones spielt näher an den Grundtönen als Chambers, hat dafür eher einen stärkeren Beat – und sein Solo, das vermutlich länger war, wurde leider auf acht Takte gekürzt. Schade, gibt es hier keine Outtakes bzw. kein Session-Material mehr! Als zweites spielt das Trio „Make the Man Love Me“ (Dietz/Schwartz), eine selten zu hörende Ballade, auch wieder kurz gehalten, mit einer Andeutung auf „Surrey“ in der zweiten Bridge. Zum Abschluss wurde dann Kellys einziges Original aufgenommen, „Sassy“, ein mittelschneller Blues, in dem der Unterschied von Jones und Chambers wieder klar wird: Jones hat mehr Wumms, aber ist deutlich weniger kreativ in der Wahl seiner Töne.

Tolle Aufnahmen, aber nicht direkt Bestenlistenmaterial, daher verzichte ich für den Moment darauf, auch noch die acht Master Takes der LP von 1962 in der korrekten Reihenfolge zu hören. Der Flow, den Kelly hier hat, von Cobb massgeblich getragen (der ja im Gegensatz zu seinem Vorgänger bei Davis, der auf Kellys ersten Trio-Album von Vee Jay zu hören ist, einen viel fliessenderen Stil pflegte), ist beeindruckend, es mangelt ihm in all den Takes wirklich nie an frischen Ideen und es gibt in seinen Improvisationen kaum einen Moment des Zögerns oder der Unsicherheit.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #168: Wadada & Friends - Neuheiten 2025 (Teil 2) - 9.12., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba