Antwort auf: Das Piano-Trio im Jazz

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Johnnie Pate Trio | Der Bassist Johnnie Pate kam 1923 in Chicago zur Welt und scheint mit 101 Jahren immer noch am Leben zu sein. Er fängt 1944 an, Bass zu spielen, stösst nach ersten Gigs 1946 oder 1947 zum Trio des Geigers Stuff Smith (mir sind keine Aufnahmen bekannt, vielleicht ist er ja der unbekannte Bassist der Session, die im Dezember 1946 für das Label Town & Country entstand?). 1947 zieht der zur Red Saunders Band weiter (Armin Büttner wird im Booklet meiner CD-Ausgabe verdankt), verantwortet für zwei Jahre die musikalische Leitung im Club DeLisa, begleitet Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan bei Auftritten im Blue Note, geht 1950 für ein Jahr mit Eddie South auf Tour. Im Oktober 1951 lässt es sich wieder in Chicago nieder und bildet mit Claude Jones (p) ein Duo, das im Club Airliner auftritt, bis Ende 1952 ist er dann Teil von Eddie Johnsons Band. Daneben schreibt Pate zwei Stücke für George Shearing („Minoration“, „Appreciation“) und mit South nimmt er sein „Currant Jelly“ auf. Ein „territory musician“, wenn man so will, der nicht aus Chicago weg wollte, dort in 1953 auch mit Ahmad Jamal spielt – „one of the most interesting musical experiences I ever had“ (auch da leider keine Aufnahmen). Das nächste Duo ist dann mit Donald Shirley, und als der im Mai 1954 nach New York zurückkehrt, empfiehlt Pate ihm Richard Davis als Nachfolger. Max Hook ist der neue Pianist, wieder im Streamliner.

Der Clubbesitzer gibt ihm im Februar 1955 den Auftrag, ein eigenes Trio zu gründen und Pate stellt den Pianisten Ronnie Bright, kürzlich aus der Navy zurück und Charlie Walton am Schlagzeug an. Ann Henry stösst als Sängerin dazu. Im April 1955 nennt der Manager des Clubs das Trio „the greatest group we’ve had since Billy Taylor was here.“ An den Off-Nights, montags und dienstags, spielt das Trio ab September auch im London House, dem Restaurant, das kürzlich eine Jazz-Policy etabliert hat. Später werden sie auch vom Blue Note angeheuert, begleiten dort u.a. Lurlean Hunter, Carmen McRae und Anita O’Day. 1955 entstehen mit der Sängerin Audrey Morris erste Aufnahmen mit Pate (was gegen die Smith-Vermutung spricht), „Bistro Ballads“ heisst die bei X erschienene Platte.

Für Talisman macht Pate im selben Jahr seine eigene erste Aufnahme, eine 10″-Platte (oben). Eine Besonderheit ist auch hier Pates Repertoire: neben „Midnight Sun“ (aus dem Buch von Lionel Hampton), „A Foggy Day“, „Easy Livin'“ und „This Can’t Be Love“ gibt es auch vier Originals, drei von Pate („For the Love of Mike“ ist dem Radio-DJ Mike Rapchack gewidmet), eins vom ganzen Trio. Da und dort ein Latin-Beat, im Opener „Oo, You’re a Livin‘ Doll“ ein Band-Vocal des Trios, sonst ein Trio, dem man die Herkunft in den Hotel-Lounges anmerkt, das dennoch sehr gut ist, auch wenn die Musik die meiste Zeit eher von der ruhigen, unaufgeregt swingenden Sorte sit. Oscar Pettiford war Pates grosses Vorbild: „He’s No. 1 with me. I admire Charlie Mingus‘ technique, but he doesn’t tell as much of a story for me as Pettiford or Duvivier do. I’ve listened to Charlie, talked with him, and know him, but I prefer Pettiford.“ Und über Ray Brown: „Ray would be my No. 2 or 3 man, after Pettiford and possibly Duvivier.“ – Von der Beweglichkeit, dem warmen, biegbaren (Cello-beeinflusstenn?) Ton Pettifords höre ich hier allerdings nicht viel – aber in der gekonnten Art, wie Pate walkt und auch immer mal wieder soliert, liegt schon eine Qualität, wie sie die (4-5 Jahre älteren – aber Pate fing ja erst 1944 überhaupt zu spielen an!) Bebop-Bassisten der ersten Generation noch nicht hatten.

Johnnie Pate Trio – Subtle Sounds | Die Fresh Sound-CD von 2013, von der ich die Aufnahmen höre, recycelt das Cover des zweiten Albums des Johnnie Pate Trios, 1956 in derselben Besetzung für das Label Gig aufgenommen (zwei ebenfalls enthaltene Singles stammen vom 28. Januar, das Album laut CD-Booklet von zwischen dann und Sommer, ev. auch von der Session Ende Januar). Hier gibt es mehr interessantes Repertoire: neben „Danny Boy“, „Will You Still Be Mine“, „I’ve Got a Crush on You“, „Things Ain’t What The Used to Be“, „The Continental“ und „Thou Swell“ auch eine Band-Vocals-Nummer, Jimmy Van Heusens „Nancy“ (wir kennen es von Coltranes „Ballads“, hier fehlt der Klammer-Zusatz „with the laughing face“), dazu weitere Originals: „Jeff“ vom Gitarristen Ray Crawford (damals mit Ahmad Jamals Trio), „Mood for Milt“ von Cal Tjader, „The Real McCoy“ (für den DJ Sid McCoy), die tolle Ballade „I Was a Fool“ mit Gastsängerin Gwen Stevens, und bei den vier Stücken der beiden Singles neben „In the Wee Small Hours of the Morning“ (eine Miniatur mit glänzendem Piano und Röhrenglocken) und Stevens‘ zweitem Auftritt in „Dont Worry About Me“ noch eine Version von „Oo, You’re a Livin‘ Doll“ (wieder mit Band Vocals und Closer der CD, da sind in der Trackliste #22 und #24 vertauscht) owie „Stay in the Know“ von Pate. Die Stücke sind zwar weiterhin alle zwischen zwei und drei Minuten kurz, aber mich dünkt, Pate nimmt sich auf diesem zweiten Album etwas mehr Raum, spielt auch ein paar echt gute Soli – und hier sind auch vereinzelt Einflüsse von Jamal zu hören, glaube ich. Bright hat einen sehr schönen Touch (vielleicht auch mal bei Shearing zugehört), immer wieder harmonisch interessante Ideen. Walton (der laut den Liner Notes zur 12″-Platte u.a. mit den South Side-Bands von Duke Groaner, Johny Griffin und Willie Mabon aber auch mit eigener Band in Gary, Indiana, gespielt hat) hält sich die meiste Zeit sehr zurück.

Pate hatte als lokaler Musiker und Bassist/Bandleader Herausforderungen zu bewältigen: einerseits wollten die Clubbesitzer in Chicago ihn nie gleich gut bezahlen, wie die tourenden Bands, die landesweit bekannt waren, andererseits entwickelten die Pianisten oft recht schnell den Ehrgeiz, weiterzuziehen. Ronnell Bright ist ja auch kein ganz grosser Name geworden, aber doch einiges bekannter als Pate es zumindest in seiner ersten, der Jazz-Karriere, wurde. Die zweite beginnt in den frühen Sechzigern, als Pate von OKeh angestellt wird, um Arrangements zu schreiben (Quincy Jones war wohl von ihm beeinflusst). Curtis Mayfield und die Impressions nehmen im Januar 1963 „Sad Sad Girl and Boy“ auf und in der Folge produziert Pate weitere Hits mit ihnen. Ihr Label ABC-Paramount beschliesst, in Chicago ein Büro zu eröffnen und stellt Pate als A&R-Zuständigen ein. Ab 1968 schreibt er dann für Curtom-Aufnahmen von Mayfield, arrangiert für Bobby Bland/B.B. King oder Soundtracks wie „Shaft in Africa“, das Bee Gees-Album „Life in a Tin Can“ – und einige seiner Produktionen werden im Hip Hop (Diddy, Jay-Z) wieder ausgegraben. Am 5. Dezember wird er 102 Jahre alt.

Auch im Jazz hat Pate als Arrangeur Spuren hinterlassen – so auf dem umwerfenden „The Last Train from Overbrook“ von James Moody (wo er auch Bass und Tuba – sein erstes Instrument – spielt), „Movin‘ Wes“ von Wes Montgomery, Kenny Burrells „Asphalt Canyon Suite“ (arr. Pate, prod. Burrell/Pate) oder „Travelin‘ Light“ von Shirley Horn (da ist er Produzent und hat vier Stücke arrangiert).

Bands wie das Pate Trio gab es vermutlich in allen mittelgrossen Städten in den USA – und ich nehme an, dass es da auch einiges an Aufnahmen zu entdecken gäbe. Um den Dreh herum sicherlich oft noch im p/g/b-Format, weil das in den Restaurants, Bars und Hotel Lobbies weniger aufdringlich war … die „Piano Moods“-Reihe von Columbia hatte ich ja schon erwähnt, vielleicht muss ich mir die Mosaic-Box mit einer grosszügigen Auswahl daraus die Wochen doch nochmal vorknöpfen.

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