Antwort auf: Das Piano-Trio im Jazz

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Dodo Marmarosa – Pittsburgh, 1958 | Bisschen was geht noch … Jahre vor der Zusammenstellung mit Aufnahmen aus der kurzen guten Zeit von Dodo Marmarosa hat Uptown schon diese CD herausgebracht. Im Booklet hat Sunenblick (der Produzent, Bob mit Vornamen, aber meistens ohne) die Geschichte von Marmarosa schon mal erzählt und auch ein 1995 geführtes Interview abgedruckt. Marmarosa ging also zurück „to family and stability“, verschwand aber zugleich in der „slow slide into obscurity as spelled P-I-T-T-S-B-U-R-G-H“ (Leonard Feather), wurde zu einem der „great Might Have Beens“ (nochmal Feather), spielte lokal aber weiterhin – und ab und zu las man seinen Namen in der „Strictly Ad Lib“ Kalender-Kolumne in down beat. In den Fünfzigern verschwand er zweimal wirklich fast: seine Frau verliess ihn – und damit verlor er auch seine beiden Töchter. Und 1954 wurde er in die Armee eingezogen: „labeled crazy, hospitalized, given shock treatments, and then discharged three months later“. Die Elektroschocks noch eine Parallele zu Bud Powell. Er zog sich zurück, lebte von Tag zu Tag, bemühte sich nicht mehr um Gigs, die sich nur noch ergaben, wenn ihn wer anrief (Danny Conn vor allem, der hier am Ende der CD auf zwei Stücken von 1957 an der Trompete zu hören ist9. Allerdings hat Marmarosa weiterhin ständig geübt, sein ganzes Leben drehte sich um das Klavier.

„Full of self-doubts, he was unable to share his music – on some nights if you were there and heard him that was enough – no questions, no compliments, no requests, no encores. On other nights, he was very congenial. His family, first generation Italian, rejected any professional help, looking upon this as a stigma“ (Sunenblick). Das alles nach den steilen Anfängen in L.A. Mit 9 hielten seine Eltern ihn für das nächste Klassik-Piano-Wunderkind, doch dann hörte er Jazz, traf Erroll Garner (der an eine andere High School ging) und übte mit ihm, tausche Ideen aus, hing beim älteren Pianisten Tootsie Davis herum, der ihn ermutigte und anleitete – und mit 16 verliess Marmarosa Pittsburgh. Er hatte erste Gigs mit weniger bekannten Bands, doch als der Draft es für die Bandleader immer schwieriger machte, genug Leute zu finden, fand er sich bei Gene Krupa wieder, der die Band von Johnny „Scat“ Davis „plünderte“ – doch dann wurde Krupa wegen Besitz von Marihuana verhaftet und die Band zerbrach. Marmarosa, Jimmy Pupa und Buddy De Franco (beide aus der Davis-Band) schlossen einen Pakt: wenn einer einen guten Gig kriegte, sorgte er dafür, dass die beiden anderen auch in die Band kommen konnten. Das klappte bei Ted Fio Rito, Charlie Barnet und Tommy Dorsey. Mit Krupa und Dorsey war Marmarosa auch Teil von kleinen Bands, auch bei Barnet kriegte er mal ein Feature. Ende 1944 dann der grosse Treffer: die Band von Artie Shaw, landesweite Bekanntschaft, Aufnahmen für RCA und Musicraft, die Hot-Stücke (bei Auftritten und Aufnahmen) mit den Grammercy Five (zu denen auch Roy Eldridge und Barney Kessel gehörten).

Shaw löste die Band Ende 1945 auf, Marmarosa blieb an der Westküste und ging zu Boyd Raeburn, der gerade eine abenteuerliche Band zusammenstellte, mit Arrangements von George Handy und der Sängerin Ginnie Powell. Marmarosa durfte jeweils ein paar Solo-Stücke spielen. In der Nachkriegszeit boomte L.A., viele Schwarze blieben und arbeiteten in Werften und Fabriken, überall entstanden kleine Jazzclubs, besonders um die Central Avenue und den eleganten Supper Club Billy Berg’s in Hollywood, wo bald Dizzy Gillespie und Charlie Parker auftraten. Gene Norman (Just Jazz) und Norman Granz (JATP) buchten immer wieder grosse Hallen, um All-Star-Konzerte zu veranstalten und Marmarosa war mittendrin, lebte in einem gemieteten Haus und übte ununterbrochen an seinem gemieteten Steinway-Upright – und wartete auf Anrufe. In der Zeit lief es richtig gut, er machte viele Aufnahmen, zog durch die After-Hours-Clubs, trat als Solist im Billy Berg’s und dem 400 Club auf. Das alles kam mit dem recording ban der AFM allmählich zu einem Ende und Marmarosa kehrte nach Pittsburgh zurück, spielte in einer Lounge mit einem p/g/b-Trio und mit Bläser-Trios (Blasinstrument mit Piano und Drums – anscheinend eine Pittsburgher Spezialität damals), bis Artie Shaw im November 1949 in wieder in seine neue Big Band holte … das ging nur kurz gut, die Geschichte(n) dazu im letzten Marmarosa-Post. Danach die Heirat in Pittsburgh, zwei Töchter, die Musik wurde um die Familie herum organisiert. Die Frau wollte nach L.A., wo er sie und die Töchter hinbrachte. Als er später nachfolgen wollte, reichte sie die Scheidung ein … Marmarosa wollte L.A. verlassen, bemühte sich immer wieder um seine Familie (und wurde in der Zeit von einem Amateur als Gast mit den Lighthouse All Stars aufgenommen). Irgendwann gab er auf und zog gen Osten. In Oklahoma wurde er wegen Trunkenheit verhaftet, der Vater musste die Kaution aufbringen und die over protective Familie hatte ihren Sohn wieder. Dann trudelt noch ein Formular ein, dass die Namen der Töchter geändert werden sollen – er unterschrieb, und sollte sie nie wieder sehen.

Mit Charlie Spivak hatte er mal wieder einen Gig, ging mit der Band auf Tour – und beeindruckte die neuen Kollegen damit, dass er die ganzen Charts fast sofort beherrschte, ohne je die Noten anzuschauen. Darauf angesprochen, sagte er: „Well, it either goes up or goes down.“ – 1954 dann die Army-Erfahrung, kaum noch Arbeit. 1956 organisierte Danny Conn eine Konzertreihe an der Uni Pittsburgh und bucht auch Marmarosa, der zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr spielte (es gibt auf der CD ein Stück von so einem Konzert mit Johnny Vance-b, Chuck Spatafore-d und einer Ansage von Conn). Ein halbes Jahr später war er wieder im Geschäft, probte regelmässig und trat 1957-69 in der Midway Lounge mit der Haus-Rhythmusgruppe auf. Irgendwann im März 1958 schmuggelte Conn seinen Tape-Recorder rein und von da stammen die ersten zwölf Stücke der CD, mit Danny Mastri (b) und Henry Sciullo (d). Immer wieder beklagte er sich darüber, seine Töchter nicht sehen zu können und versucht, Pittsburgh zu verlassen – eines Tages taucht er dann nach so einem Trip in Chicago auf, wo er Gigs mischelt und Wind davon kriegt, dass Johnny „Scat“ Davis einen Pianisten sucht. Der stellt ihn wieder an, was zwei Monate gut dauert, bis Marmarosa wieder verschwindet (er war kurz davor eines Abends mit kahlgeschorenem Kopf und einer weissen Mütze aufgekreuzt). Neben dem einen Stück von 1956 gibt es am Ende der Uptown-CD noch zwei von November 1957 mit Conn (t), Buzzy Renn (as), Jimmy DeJulio (b) und Chuck Spatfore (d).

Joe Segal hatte davon Wind gekriegt, dass Marmarosa in der Stadt sei und mit Jack Tracy beschlossen, ihn für Argo aufzunehmen. Doch sie mussten über ein Jahr warten, bis er wieder in der Stadt auftauchte. Dann nahmen sie im Mai 1961 mit Richard Evans (b) und Marshall Thompson (d) „Dodo’s Back“ auf. Leonard Feather schrieb in down beat eine lauwarme Kritik. 1962 gab es noch zwei Sessions in Chicago, mit Gene Ammons („Jug & Dodo“, zur Hälfte im Trio mit Sam Jones und Thompson, und zur Hälfte im Quartett mit Ammons, erst 1972 erschienen, weil Ammons bei Prestige exklusiv unter Vertrag stand, die Sessions aber für Argo gemacht wurden) und mit Bill Hardman (erst in den 80ern veröffentlicht, von der Aufnahme hatte ich nie was mitgekriegt, jetzt mal bestellt). Bei den Sessions traf Marmarosa die anderen im Studio zum ersten (und einzigen) Mal. Der Pianist war laut Drummer Marshall Thompson unkommunikativ, in sich gekehrt, und verweigerte sich Versuchen von Ammons, die Stücke irgendwie zu organisieren. Dass „You’re Driving Me Crazy“ das letzte Stück der Session war, mag also ein Kommentar sein. Auch von 1962 stammen drei Stücke mit Conn (t), Carlo Galluzzo (ts), Jimmy DeJulio (b) und Chuck Spatafore (d), gesielt bei der TV-Show „Jazz Scene“ (WQED, Pittsburgh) – das zweite Segment nach dem Trio auf der Uptown-CD. 1966 hat Chuck Nessa ihn mal in einer „hillbilly bar“ gesichtet – und erst später begriffen, dass das Marmarosa war, der öfter dort spielte, an einem Upright an der Wand, während sich niemand für ihn interessierte. Ende der Sechziger gab es dann noch einen Auftritt als Solo-Pianist im Colony Restaurant in Pittsburgh. Der Besitzer mochte Marmarosa sehr und holte ihn Abend für Abend ab. Nach 1968 ist kein Auftritt mehr dokumentiert. Die Familie scheint ihn komplett abgeschottet zu haben, ihn kaum mit seinen Musikerfreunden sprechen haben zu lassen (nur am Telefon natürlich). Nach der Army 1954 kriegte er eine monatliche Auszahlung wegen Behinderung, was vielleicht zusammen mit all dem anderen auch dazu führte, dass er wenig Ehrgeiz entwickelte, wieder als Musiker seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Laut Conn habe er aber auch 1995, als das Booklet zur Uptown-CD entstand, noch „sensitive and beautiful“ gespielt, „the same old Dodo“ (aus Sunenblicks Liner Notes).

Der Musik fehlt für meine Ohren wirklich einiges, was in den frühen Aufnahmen steckt: Frische, der Überschwang, die irre Menge an Tönen, die aus Marmarosa förmlich herauszupurzeln schienen … eine Menge wie bei Erroll Garner, seinem Jugendfreund, auch wenn Marmarosas Spiel moderner akzentuiert war, vom Bebop getränkt. Weil aber so unglaublich viel Musik in Marmarosa steckte, sind auch diese späteren Aufnahmen immer noch toll und besonders – aber die gehören halt doch irgendwie zur Geschichte des „might have been“, die Feather schon früh erzählte. Schön, dass es sie gibt – aber irgendwie eben auch ein wenig traurig.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba