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IN A SILENT WAY
davis, shorter, mclaughlin, corea, hancock, zawinul, holland, williams, macero, tonkel, payne (18.2.1969)
seit ich minute 13, sekunde 10, von seite b zum ersten mal gehört habe, bin ich jazzfan. das ist der moment, in dem tony williams plötzlich in einen krachigen freien rockrhythmus wechselt, nachdem er 1,5 lp-seiten lang bis dato nur einfache hi-hat- und crossstick-grooves wiederholt hatte. plötzlich dieser ausbruch, ganz kurz nur, diese energie, die sich scheinbar aufgestaut hatte, aber auch: das unvorhersehbare. sowas geht also im jazz, dachte ich, und schaute dabei durch ein großes fenster auf ein feld und dahinter auf einen wald – ein blick, von dem ich mich gerade verabschiede, da ich das dazugehörige haus verkaufe. plötzlich, im immergleichen, etwas unvorhersehbares. schon vorher hatte ich mich immer wieder kurz justieren müssen, weil das, was ich da hörte, nichts mit „jazz“ zu tun hatte. es gab neben diesen minimalistischen geraden grooves einen bass, der oft nur einen ton spielt, und, viel verrückter: passagen aus frei improvisierter musik wurden im stück einfach wiederholt, nochmal drangeklebt – darunter im ersten stück das solo des leaders, das 1:1 zweimal zu hören war! auf seite 2 fühlte ich mich dann ein bisschen zuhause, es gab die organischen entwicklungen zwischen den drei grooves, die einzelnen sehr schönen soli von gitarre und sopransax, aber bei der trompete ging plötzlich eine wand hoch und ein blick wurde frei.
auf „shhh- peaceful“ sind knappe 6 minuten zweimal zu hören, in einem stück von 18 minuten länge. aus dem original, das eigentlich nur eine probe war und 19 minuten dauerte, wurden also 7 minuten herausgeschnitten. mittlerweile kennt man das (COMPLETE IN A SILENT WAY SESSIONS), es hat ein nervtötendes thema, das bass und e-piano synchron spielen, und bei dem tony williams unterschiedliche sachen ausprobiert. es kommt immer wieder und würgt jedesmal den flow ab. in der finalen version ist es kein einziges mal zu hören. und irgendwie bleibt nur der hi-hat-groove von williams übrig, als sei er von anfang an darauf gekommen. strukturmoment ist plötzlich ein orgelakkord mit 2 tönen gitarre – so fängt das an und davon darf der flow mal kurz abgebrochen werden, bevor das gebilde in die nächste runde geht, und in die gleiche runde, geloopt.
probenatmosphäre. alle probieren was aus, um sich irgendwann für eine sache zu entscheiden. mclaughlin spielt einfache linien mit vielen bending notes und vielen pausen. die e-pianos proben die rücksicht. und die orgel streut nur ein paar akzente ein. am ende muss sich niemand mehr entscheiden, macero schneidet daraus das stück, und behält die entspannte atmosphäre drin.
das titelstück gibt es auch als probe auf der komplett-session-box. es hat viele akkorde und einen schönen, leichten sambarhythmus (von dem am ende vielleicht noch das crossstick-ding von williams übrigbleibt). miles entscheidet: es wird dreimal gespielt (mclaughlin, shorter, davis), nur auf einem einzigen gestrichenen bass-grundton, mit ein paar space-akzenten. macero entscheidet: genau das wird hinten auch nochmal drangeklebt. in a silent way/ it’s about that time / in a silent way. das schockierte mich beim ersten hören dann schon nicht mehr. das kam in minute 15, sekunde 38, auf der b-seite, da war ich schon jazzfan.
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