Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

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WITH JOHN COLTRANE AT CARNEGIE HALL
monk, coltrane, abdul-malik, wilson, karpe, hochberg (29.11.1957)

schön, wenn ein mythos der überprüfung standhält. 3 studiotracks, mehr war lange zeit nicht zu haben von einer band, die manche 1957 abend für abend über ein halbes jahr lang im five spot besucht und dabei verfolgt haben, wie sie zusammenwächst, wie sich der saxofonist emanzipiert und schließlich das freischwimmen im offenen meer wagt. schon wieder das five spot also, schon wieder „are you cats serious?“, aber diesmal sitzen nicht die alten bebopper da und schütteln mit dem kopf, sondern die neuen wilden, amiri baraka und steve lacy, und nicken. und erzählen es weiter, bis ein mythos entsteht. gerade letzterer wird etwas gelernt haben in der frage, wie man einem klavier, das im eigenen system existiert, als saxofonist noch etwas hinzufügen kann. aus dem five spot gab es irgendwann auch aufnahmen, von naima coltrane. und dann, 2005, dann dieser mitschnitt von einem benefizkonzert für schwarze jugendliche, aus der carnegie hall, mit gutem flügel, ordentlich mikrofoniert für voice of america, am ende der gemeinsamen zeit von monk und trane im five spot, die ganze band so eingespielt, dass sie schon wieder etwas neues wagt, um sich nicht zu langweilen.

eine archivaufnahme von 2005, so hoch in dieser liste, das beste monk-album also? ein missing link natürlich, vor allem in der entwicklung coltranes, zumindest wird die leidenschaftliche raserei über schnell wechselnde akkorde auf GIANT STEPS hierdurch etwas verständlicher, wenn man vorher nur das miles-quartet und BLUE TRAIN gehört hat. coltrane ist unfassbar selbstbewusst hier, er entwischt monk sogar, fordert ihn in seinem eigenen system heraus (als er bei „evidence“ wieder mit dem thema einsetzt, obwohl monk in seinem solo gerade ganz woandershin abgedriftet ist). aber der mitschnitt hat auch enttäuschungspotenzial: die stücke sind kurz, coltrane geht nur einmal an seine grenzen (im plötzlichen double time von „sweet and lovely“, in dem er nochmal das tempo verdoppelt und dann außer sich gerät), die atmosphäre ist weder die eines heißen jazzclubs noch die einer gut abgesprochenen studioaufnahme. trotzdem hört man eine band auf unglaublichem niveau miteinander kommunizieren. der schatten an den drums (der ja leider schon zwei jahre später an einer hirnhautentzündung starb), der liebhaber nahöstlicher saiteninstrumente hier mit einem trocken-präzisen bass, die genommenen freiheiten („blue monk“ in alternativer tonart), vor allem „his outness, thelonious, high priest of gone“ (baraka), den man hier seine soli wirklich entwickeln hört, die noch nicht zu formeln geronnen sind.

magisch ist für mich der beginn, „monk’s mood“ quasi im duett, hypnotisch zwischen den wiederholten motiven schwebend, immer wieder zu einer neuen bewegung ansetzend und dann doch nicht abdriftend, zweimal kommt kurz die band dazu (tatsächlich: ein schatten) und verändert dadurch den rhythmus. das wirkt wie ein dämmerflug über überschwemmtem gebiet, man ist nicht ausgesetzt, aber kann doch nicht wegschauen, man gleitet und steckt trotzdem fest. da beginnt die jazzgeschichte im archivdokument doch sehr lebendig zu werden.

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