Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

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WE INSIST! FREEDOM NOW SUITE
roach, lincoln, little, benton, hawkins, priester, schenck, olatunji, mantilla, duvall, hentoff, d’orleans (31.8. & 6.9.1960)

vieles hier ist in 5/4. die ungerade akzente kommen hier z.b. von abbey lincolns tamburin und max roachs rahmenschlag, beides direkt im ersten song „driva man“, in dem es um sklaverei geht. die assoziation einer peitsche liegt nahe. roach referenziert den kommerziellen erfolg von „take five“ und politisiert das ungerade metrum. jazz als waffe, als offene („candid“) aussprache von kritik, bei der man den veteranen coleman hawkins mitnimmt – wie auch count basie („a beautiful movement“), duke ellington und art blakey sich hinter die sit-ins von schwarzen in restaurants, in denen sie damals nicht bedient wurden, stellten. „sitting in“ ist auch eine jazzpraxis. das insistieren hat eine bürgerrechtliche, aber auch eine formale dimension. jazz als eine musikform, die selbst gerade auseinanderflog, auf dem sprung (für einige) in bereiche, die man als „far out“ erlebte. vieles hängt hier gleichzeitig in der schwebe, der rohe ausdruck und die raffinierte konstruktion, die modale entspannung und der enthemmte schrei, das spiel mit dem metrum, die tänzerische begleitung einer stimme, der blues und das spiritual. coleman hawkins besteht darauf, dass sein rohrblattquietscher nicht herausgeschnitten wird. es wird insistiert, nicht nur im engeren politischen sinn. die musik hat etwas zu sagen, sie gruppiert sich um die peitsche und addiert dann afrikanische volkseinheiten (in dem jahr, als über 16 afrikanische staaten der UN beitreten dürfen), ruft den freedom day herbei und macht die stolze erschöpfung zum schlusskapitel des tryptichons für abbey lincolns stimme. nat hentoffs kurzzeitige wild card als künstlerischer leiter eines sublabels wird in den dienst der freien aussprache gestellt: mingus‘ „fables of faubus“ darf auf candid, anders als auf columbia, mit text aufgenommen werden; abbey lincoln darf schreien (auch wenn darunter weniger das label als vielmehr ihre karriere gelitten hat). aber man kann WE INSIST! auch anders hören, denn ein stück wie „tears for johannesburg“ hat viel mit dem labor des modalen jazz dieser zeit zu tun und präsentiert eine ziemlich beeindruckende abfolge von instrumentalen soli. und es ist in 5/4.

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