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Sommer vorm Balkon (Andreas Dresen, 2005)
Ich hatte Sommer vorm Balkon damals nicht im Kino gesehen – obwohl ich nur ein paar 100 Meter vom Schauplatz dieses Films wohne, schon -zig mal an diesem Balkon vorbeigegangen bin und oft schräg gegenüber im Café gesessen habe. Ich hatte immer die Vorstellung, das ist so eine romantische Komödie mit etwas Prenzlauer Berger Lokalkolorit, nett aber auch harmlos. Und der Film hat auch was Komisches und auch Lokalkolorit, aber er hat eben auch noch viel mehr und was ganz anderes.
Aus der Perspektive zweier Single-Frauen Mitte/Ende 30 im unteren Drittel des sozialen Spektrums erzählt, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen und auf der Suche nach dem kleinen Glück sind – oder auch nur nach festem Boden unter den Füßen. Ganz nah an den Menschen dran, immer mit Empathie, manchmal fast schon intim. Das ist berührend, manchmal komisch und manchmal auch fast zum Fremdschämen. Wenn eine der beiden sich nach einer versuchten Vergewaltigung aus Verzweiflung bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt und in die Psychiatrie eingeliefert wird, auch schmerzhaft. Teils mit Laiendarstellern besetzt (die Ärztin in der Notaufnahme ist sicher auch im wirklichen Leben Ärztin), an Originalschauplätzen gedreht (ich erkenne auch eine Plattenbausiedlung hier um die Ecke), dadurch wirkt das alles sehr authentisch, fast dokumentarisch.
Man leidet mit den beiden absolut glaubwürdig gespielten Protagonistinnen, und selbst der eigentlich unsympathische LKW-Fahrer Ronald, mit dem sie was anfangen wollen, kommt einem am Ende wie ein armes Schwein vor, das unfähig zu einer Beziehung ist.
Aber Sommer vorm Balkon ist auch komisch, nicht durch irgendwelche Gags, sondern durch die Situationskomik, wie sie im Alltag tatsächlich vorkommt. Berliner Schnauze inklusive. Toller Film!
Nachtgestalten (Andreas Dresen, 1999)
Nachtgestalten hatte ich damals sogar im Kino gesehen. Nachdem ich Sommer vorm Balkon geströmt hatte, habe ich mir gestern Nachtgestalten nochmal angesehen.
Eine Nacht in Berlin, 3 ungleiche Paare, die irgendwie diese Nacht überstehen wollen oder müssen. Michael Gwisdek als kleiner Angestellter „Peschke“ („Assistent der Geschäftsführung“ oder so was), der einen verlorengegangen afrikanischen Jungen aufgabelt, ein Bauer aus Brandenburg, der in der großen Stadt was erleben will und ausgerechnet an eine drogenabhängige jugendliche Stricherin gerät und ein Obdachlosenpäärchen, dem ein 100 Mark-Schein in die Hände fällt und das eine Nacht im Hotel verbringen will – was gar nicht so einfach ist. Kleine Leute und noch kleinere Leute, die sich irgendwie mit Ach und Krach durchs Leben hangeln, zugespitz und verdichtet in einer einzigen Nacht. Pleiten, Pech und Pannen, aber am Ende geht es doch immer wieder irgendwie weiter.
Auch hier sitzen Andreas Dresen und sein großartiger Kameramann Andreas Höfer den Figuren förmlich unterm Hemd. Man mag Peschke für einen biederen Spießer halten, den Bauern Jochen für ein naives Landei und die Obdachlose Hanna für eine unerträgliche hysterische Nervensäge. Aber irgendwie kann man sich in alle diese Figuren hineinfühlen und respektiert sie als Menschen mit all ihren Macken, die sie eben so haben. Großartiges Schauspielerensemble, das sich hier fast nackt macht – teils sogar buchstäblich. Ähnlich wie Sommer vorm Balkon tragisch und komisch zugleich, manchmal auch schwer zu ertragen und vor allem sehr menschlich. Auch ein toller Film!
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)