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LIBERATION MUSIC ORCHESTRA
haden, bley, mantler, cherry, redman, barbieri, northern, rudd, johnson, robinson, brown, cyrille, motian, thiele, greene (27.-29.4.1969)
hanns eisler schrieb sein „einheitsfrontlied“ 1948 nochmal um – ihm war der marschryhtmus unagenehm geworden, weil zu sehr mit den nationalsozialisten assoziiert. hier, bei charlie hadens polit-orchester, taucht er gleich am anfang auf, um dann schnell in einer kaskade von freien einzelstimmen unterzugehen. und kein drummer der jazzgeschichte konnte den marschrhythmus so gut dekonstruieren wie paul motian. das ist die große, verrückte idee dieses albums: mit einheitsbildenden maßnahmen lauter freigeister auftreten zu lassen, um ein kämpferisches statement gegen die unfreiheit zu formulieren. wie geht das zusammen, marsch und improvisation, hymne und freigeist, kampf und frieden, jazz und politische agenda? haden und bley sagen: in dem alles nebeneinander stehen darf, mit einem sich wellenhaft verschiebenden fokus. und das funktioniert erstaunlich gut, wahrscheinlich weil es einfach sehr gut arrangiert ist, ein geteiltes anliegen hat und alle aus persönlicher perspektive etwas beisteuern können: der argentinier und perron-flüchtling barbieri, motian mit seiner armenischen familienschichte, die afroamerikaner (die auf dem cover so schön zusammenstehen, allerdings mit barbieri in der mitte); aber auch musikalisch: die coleman-buddies, die sich nie ganz freistrampelnden jazz composer’s ocherstermitglieder, die beiden absolventen der wiener musikakademie (mantler und northern), die selten improvisierende arrangeurin, die dixielandfreejazzer robinson und rudd, einige schon halb mit dem fahrstuhl über den hügel, zu politisch für ABC, räudig aufgenommen in der judson hall, vor veteran*innen des spanischen bürgerkriegs, aber auch gil evans war im publikum. es gibt nicht wenige gänsehautmomente hier, die immer mit sich lösenden einzelstimmen zu tun haben: dewey redman beim „song for che“, roswell rudd in der spanischen suite, carla bley mit ihrer pianistischen glanzleistung auf „war orphants“.
die frage, ob man märsche verjazzen sollte, ist danach bei mir immer noch offen. aber wie ein individualist*innen-ensemble auf einen gemeinsamen punkt kommt, hört sich ziemlich toll an. am ersten tag der aufnahme von LIBERATION MUSIC ORCHESTRA verunglückte übrigens der bolivianische präsident ortuño, auf dessen weisung che guevara exekutiert worden war, im eigenhändig gesteuerten helikopter tödlich. ich behaupte natürlich keinen zusammenhang.
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