Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Ray Anderson – Every One of Us | Weiter um Enja herum … Grammavision brachte 1992 diese Session mit Simon Nabatov, Charlie Haden und Ed Blackwell heraus, aufgenommen im Juni 1992 in der Power Station (Jim Anderson) – es gibt drei Fremd- und vier Eigenkompositionen und erstere sind hier recht interessant: „Brother, Can You Spare a Dime“ (Gorney/Harburg) noch am wenigsten, aber „Dear Lord“ von Coltrane und „Lady Day“ von Shorter kriegt man nicht alle Tage zu hören. Los geht es mit dem auch bei Enja zu hörenden Stück „Funkalific“ (aka „Funkorific“, Titelstück eines Albums mit Amina Claudine Myers). Die weiteren Originals sind allesamt Widmungen: „Kinda Garnerish“ erklärt sich von selbst (hier übernimmt tatsächlich der Posaunist die Rolle des Time-Verschiebers, sein Solo kommt gar über weite Strecken ohne Klavier aus), „Muddy and Willie“ eigentlich auch, da Anderson sich ja auch gerne als Blues-Sänger maskierte (also: Waters und Dixon – er singt allerings nicht hier sondern auf „Brother, Can You Spare a Dime“ – und dort maskiert er sich eher als Tom Waits, aber das ist vom Spiel mit dem alten Blues ja auch nicht weit weg) und „Snoo Tune (for Anabel)“, seiner Tochter gewidmet. Die Band mit der so stilsicheren Rhythmusgruppe und dem gern etwas blumigen Pianisten ist nicht perfekt – aber weil sowohl Anderson wie auch Nabatov die Exzesse meist bleiben lassen, funktioniert sie eben doch sehr gut. Haden gibt dem Album eine Wärme, die ich bei Anderson sonst nur punktuell höre (von den mir bekannten Alben gerade im erwähnten „Funkorific“ am ehesten). Das ist alles erstaunlich zurückhaltend – und das ist gut so. Meine Lieblingsstücke gibt es am Schluss: Da ist die Holiday-Hommage, in der Anderson sein Instrument singen lässt – mal volltönig wie die alten Ellington-Posaunisten, dann eher gequält und mit mäandernder Intonation … wie der Gesang der späten Billie Holiday. Das wirkt alles tief empfunden und die anderen gehen mit, Nabatov koloriert, Haden lässt die Obertöne erklingen und Blackwell ist unbemerkt immer da. Und dann folgt „Dear Lord“, Nabatov im Tyner (ca. 1960) Modus, Anderson ebenso fokussiert wie direkt davor, Blackwell jetzt viel aktiver und Haden wieder der Gesangspartner des Leaders im Hinter- und Untergrund – erst recht, wenn mitten im Stück sein tolles Solo erklingt.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba