Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

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gypsy-tail-wind
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Vielen Dank für die schönen Texte vom Wochenende – besonders den zu Billie Holiday!

„Ellington at Newport“ lernte ich direkt in der kommentierten und quasi aufgeräumten 2-CD-Ausgabe kennen … und in der Tat, die gaze Aufregung lässt sich da nicht so wirklich nachfühlen – Kontext ist da vermutlich alles, und den erzählen die Liner Notes nur so weit sie in die Ellington-Mythologie passen, die eh viel Unsinn enthält (wie den, dass die Band in den Jahren davor schlecht gewesen sei). Die Leute tanzten ja wirklich, davon gibt es immerhin stumme Zeugen in Form von Fotos:

(Von Discogs, wo man das Booklet der erwähnten 2-CD Ausgabe hier komplett anschauen kann.)

Für den ganzen Kontext sollte das hier hilfreich sein (darf man zumindest hoffen):

Was „Free Jazz“ angeht: ein Album, an dem ich mir lange die Zähne ausgebissen habe – auch wenn ich daneben „The Shape of Jazz of Jazz to Come“ usw. schon liebte und mit „Ascension“ auch allmählich klargekommen bin. Doppeltes Problem im Rückblick (und eine andere Perspektive gibt es für unsereins ja gar nicht): einerseits die Musik selbst, die sich so seltsam anhört und -fühlt, relativ steif (trotz des Swings, der wirklich da ist … aber polyphoner Dixieland swingt ja auch und ich habe das lange irgendwie als modernistische Form davon wahrgenommen und das in einer Zeit, als ich noch nicht mal Louis Armstrongs Hot Five und Seven wirklich mochte), und dazu dann eben die Frage, was all die Aufregung um dieses doch irgendwie zahme Album soll – wenn doch z.B. „Mingus Presents Mingus“ viele freiere Musik enthält. Ich höre bis heute „Ascension“ viel häufiger – aber auch nicht oft. Nächstes Mal, wenn ich „Ascension“ hervorhole, werde ich mich auf Hubbard besonders achten … und gute Frage wegen Alan Shorter – ich vermute, dass der 1965 eine so obskure Wahl gewesen wäre wie Dewey Johnson. Woher kam der eigentlich, da könnte es helfen, die Zeitachsen von Giuseppi Logan, Marion Brown, Paul Bley, Pharaoh Sanders usw. und ihre Überschneidungen offenlegen … irgendwie war Johnson da ja überall, auch bei Sun Ra und bei der October Revolution in Jazz, die damals für diese Leute wohl eins der wichtigen Events gewesen war. Dass Sanders in der Zeit der wuchtigste Solist war (Coltrane sollte ja in den Monaten, die ihm noch blieben, etwas Boden gut machen) ist bei der Session definitiv so. Shepp war ja schon irgendwie … etwas altmodischer? Und bei der Session kann man Colemans  Diktum über das Tenorsax (ich hab’s grad nicht im Kopf und auch keine Ahnung, ob’s echt oder erfunden ist, aber irgendwas mit auf dem Instrument hätten die Afro-Amerikaner ihren tiefsten Ausdruck gefunden?) vielleicht nachempfinden: Brown und der irgendwie geometrisch organisierte (auch noch auf den Sessions mit Dyani, wo er neben Pukwanas überbordendem Flow eine Art andere Ordnung vorschlägt) Tchicai entwickeln nicht die Wucht und Überzeugungskraft der Tenorsaxophonisten.

Die Frage, seit wann „Sextant“ in solchen Liste auftaucht, finde ich interessant … könnten die Achtziger-Experimente („Future Shock“) da eine Rolle gespielt haben?

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba