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SEXTANT
mwandishi, mwile, mganga, pepo, michezaji, jabali, gleeson, clarke, rubinson & friends, catero, zatkin, vieira (1973)
hatte ich von HEADHUNTERS aus über die musik davor von subkutanen, eher gefühlten grooves gesprochen? was für ein unsinn. SEXTANT hat fette bässe, 19/4-grooves, phaser-schlagzeug und natürlich auch schon das clavinet mit fuzz-wah und echoplex, das „chameleon“ so berühmt gemacht hat. der trip ist so funky wie kaum etwas, das ich aus den frühen 1970ern kenne – nur, dass dazwischen immer ausbrüche in rhythmisch freies terrain stattfinden, die mit gleicher lässigkeit sekunden später wieder eingefangen sind. was war das gerade?, ist die frage, die man sich beim hören hier ca. 200 mal stellt. und auch, wenn es so scheint, dass hier vor allem synthesizer und sequencer miteinander jammen, käme ich überhaupt nicht auf die idee, dass die leibhaftigen musiker hier unter die räder rutschen oder aus dem schaltkreis fliegen. im gegenteil, das erste stück, „rain dance“ ist eine der gelungesten verbindungen von akustischer und elektronischer musik, die ich kenne. trompete, sopransax, posaune und e-piano spielen hier nicht „dazu“, sondern bewegen sich frei in den loops, werfen kurze auratische statements ein, manchmal nur ein handklatschen, ein kurzer walgesang, ein trommelwirbel – und erobern damit auf freundliche weise neues gebiet. die maschinen übernehmen nicht, sie machen angebote. und wenn ein stabiler groove gefunden ist (wenn auch in 19/4 und mit freien ausbrüchen zwischendurch), fließt die intelligenz in neue sounds und deren originelle verbindungen – clavichord und ein quäkendes saxophonmundstück zum beispiel. im letzten stück geht das 20 minuten so, als kämen die sounds zu besuch, sie machen eine kleine tanzfigur und treten wieder ab, während sich bass und schlagzeug neu mit den maschinen verbinden. das ist alles so unangestrengt und hip, dass man vergisst, wie aufwendig die voraussetzungen dafür waren, weswegen ja dieses septett als „band“ galt, „die niemals schläft“, weil sie zwischen den konzerten ihre zeit für technikauf-, -abbau und -transport aufbrachte. es hätte einen teleporter gebraucht, warp-antrieb oder zumindest eine subfirma. so spektakulär unerfolgreich diese musik war, war daran nicht zu denken. wann hat man sie wiederentdeckt? seit wann befindet sich dieses album in solchen best-of-listen, noch vor HEADHUNTERS, EMPYREAN ISLES oder TAKIN‘ OFF? so sehr hier mit damals noch verschwitzten fingern an jungen sounds gearbeitet wurde, so zeitlos erscheint einem SEXTANT heute. alles, was seitdem in der musik passiert ist, lässt sich irgendwie darauf beziehen. und es ist immer noch nicht retro.
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