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FREE JAZZ
coleman, dolphy, cherry, hubbard, haden, la faro, higgins, blackwell, ertegün, dowd (21.12.1960)
auf jackson pollocks gemälde WHITE LIGHT gibt es keinen vorder- und keinen hintergrund. ornette coleman wollte auf FREE JAZZ musik spielen (lassen), nicht den hintergrund. die fehlende 3-dimensionalität der kollektiven improvisation bildet sich im sound ganz gut ab, wo sich nicht der jeweilige solist abhebt und nach vorne aus der menge tritt, sondern im geschehen selbst raum bekommt, um ideen zu äußern, die vielleicht auf gleicher ebene eine kettenreaktion auslösen. hierarchien gibt es allerdings trotzdem – man hat ausgerechnet, wie viel mehr zeit coleman gegenüber allen anderen bekommt, und wie viel mehr z.b. blasintrumente gegenüber bässen und schlagzeugen. dafür spielen letztere natürlich auch die ganze zeit. ich kriege keinen guten gedanken hin zu diesem album, dessen historische bedeutung ich gut nachvollziehen kann, das ich aber selten mit lust auflege. wenn es um den individuellen ausdruck geht, habe ich alle beteiligten hier woanders schon mal spannender gehört. vor allem: ich höre das album nach wie vor dreidimensional, mir hat schon immer gefallen, wie sehr es swingt, und das scheint mir hier eher den hintergrund zu bilden für die solistischen exkurse und kommentare. aber gut, wenn man etwas neues ausprobiert, ist das ja meistens nicht das letzte wort in der sache. der geplante verzicht auf funktionsharmonik muss hier vielleicht damit leben, dass hubbard und dolphy und la faro und eigentlich auch haden durchaus (nicht gespielte) harmonien im ohr haben, zu denen sie spielen. bei hubbard könnte man wahrscheinlich naheliegende akkorde dazuschreiben. nur coleman selbst ist irgendwo anders – und sobald sein kollekiv kommentiertes „solo“ anfängt, passt auf FREE JAZZ alles. über schöne details könnte man auch schreiben: dass dolphy und hubbard manchmal „riffen“ (im coleman-solo), wie kanalübergreifend cherry und blackwell miteinander funken – und über den moment, wenn la faro nach seiner hyperaktiven vor-dem-beat-performance unter cherry plötzlich auf nur noch einem ton hängenbleibt. aber das ist ja hier nicht das projekt: nur dem eingespielten coleman-quartett (mit blackwell und haden) gelingt es, im jeweiligen personalstil zu bleiben. das aufgreifen von ideen im kollektiv führt hier oft nur zu etwas banalen imitaten (diese figur über dem bass-griffbrett, die sich la faro und haden hin und her werfen, z.b.; auch dolphy spielt viel einfach nach). aber gut: klassische parameter werden überprüft, man schaut, was man weglassen kann und ob dadurch etwas neues den raum füllt. weiter entwickeln können das ja dann andere. ich sollte vielleicht mal das experiment wagen, FREE JAZZ in der mono-version zu hören.
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