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UNDERCURRENT
evans, hall, douglas, schwartau (24.4. & 14.5.1962)
angst-album. eine produzentenidee, natürlich. und es gibt ja auch menschen, die es herzig finden, wenn eine blockflöte von steel drums begleitet wird und dabei sowas wie musikalisch sinnvolle kommunikation entsteht. nicht der spaß, den ich so beim jazzhören habe, aber natürlich völlig legitim. und natürlich haben evans und hall über alle schwierigkeiten einer solchen kollaboration dreimal länger nachgedacht als ich – und offensichtlich lösungen gefunden.
evans und hall sind zurückhaltende musiker, und UNDERCURRENT ist kein feuerwerk kräftemessender virtuosität geworden. in zwei alternate takes kann man hören, wie sie andere dinge ausprobieren, die nicht funktionieren und weswegen die master takes anders arrangiert sind: bassfiguren des klaviers während eines hall-solos z.b. oder schlaggitarrenbegleitung während eines evans-solos. im mastertake skelettieren sie stattdessen die melodie von „my funny valentine“ und ergänzen/ kommentieren sich im kontrapunkt. ein labor reizvoller sprünge über selbstgebaute hürden. manchmal deutet hall woanders einen walking bass mit den tiefen gitarrensaiten an – oder er spielt ganz leise akkordisch 4 schläge pro takt. nicht selten lassen sie den anderen unbegleitet solieren. ganz toll, wenn hall in einer akrobatischen verwirbelung von evans pausiert, um genau dann wieder einzusetzen, wenn der pianist auf der 1 landet. auch eine gute idee: hall stellt fast immer das thema vor, was sofort eine intimität der interpretation vorgibt. und nicht selten ergänzt evans mit ein paar tönen zweiton-figuren von hall, damit ein komplexer, vollerer, gemeinsamer akkord entsteht. zwei also, die sich verstehen und die das beste aus der situation machen.
trotzdem scheinen mir hier missverständnisse vorzuliegen. sich nicht in die quere zu kommen, heißt ja noch nicht, dass man einen song auslotet. wenn evans losprescht, braucht es keine gitarre mehr. manchmal kommen sie sich eben doch in die quere. und manchmal gehen sie so vorsichtig miteinander und dem balladentempo um, dass die musik einschläft („darn that dream“). aber: das programm war das eines „besonderen albums“, und irgendwie hat dieser eindruck bis heute überlebt. und auch die schwarze romantik des covers, das etwas illustriert, was ich nirgends höre, generiert ein merkwürdiges echo – ein stück namens „undercurrent“ gibt es nicht auf dem album, und der titel eines tatsächlich eingespielten, „skating in central park“, hätte vielleicht besser gepasst. was also ist die „unterströmung“, die das modefoto, aufgenommen bei einem meerfrauen-event in weeki wachee springs, morbide auflädt, denn was sonst kann eine frau im abendkleid ins wasser getrieben haben als ein gefährlicher sprung oder ein nicht einkalkulierter drift? evans und hall würden vielleicht sagen: jazz! synkopen! unsere liebe zu tin pan alley songs! und darauf kann man sich ja einigen. und ob drähte jetzt angeschlagen oder gezupft werden, ist ja letztlich auch nicht so weit voneinander entfernt, jedenfalls näherliegend als blockflöte und steel drums. ich bin froh, dass ich mir im rahmen dieser selbstgebauten hürde wenigstens nicht die sachen anhören muss, auf denen sich evans per overdub selbst begleitet.
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