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HEAD HUNTERS
hancock, maupin, jackson, mason, summers, rubinson, catero, zatkin, butcher, vieira (12/1972 oder Anfang 1973)
die debatten um den angeblichen sündenfall hancocks sind mittlerweile verstaubter als jeder einzelne ton auf diesem album. und wenn man die alben davor kennt, erscheint der „bruch“ allenfalls partiell – es lohnt sich ebenso nachzuschauen, was neu ist, wie scharfzustellen, was hier weitergeht. ich weiß gar nicht, ob das eigentlich das interessante an dem album ist, aber vielleicht kurz:
NEU | mwandishi hießt wieder herbie hancock. vom sextet ist nur bennie maupin (der klimaxfähigste solist) übriggeblieben, und das different fur studio als labor. der kabelsalat, live kaum mehr installierbar, wird auf eine knackige multiinstrumentalisten-einheit reduziert, die man einfacher und günstiger auf tour schicken konnte. die bässe und grooves sind nicht mehr subkutan, unterwasser, lost in space, sondern im erdgeschoss der musik gelandet. sly stones „thank you“ ist eingeflossen, dabei aber wurde die gitarre(n) vergessen. eine basslinie ist plötzlich das hauptargument. die stücke denken ihren radio-/ single-edit schon mit. diederichsen sagt (irgendwo), dass durch verwendung von geborgten, billigen (?) sounds identität und personifiziertes genie aufgelöst wird. eine bierflasche steht in den credits.
ANKNÜPFEND | panafrikanismus und afrofuturismus – der kopf der band hinter der kpl-kple-maske, als deren mundstück ein VU-meter mit nadel fungiert und deren augen ein bisschen aussehen wie köpfe eines tonbandgeräts. der percussionist bill summers ist ethnomusikologie-student und weiß, wie man mit bierflaschen nasenflöten evoziert. funk in space – zwar sind bass und schlagzeug auf dem boden der realität gelandet, immer noch schweben viele sounds weit draußen im raum; man kann sie aber fürs radio rausschneiden. das letzte stück, „vein melter“, ist eine variation von „water torture“ auf CROSSINGS. es wird weiterhin improvisiert. zwar hätte man buster williams nicht dauerhaft auf die bass lines von paul jackson festzurren können, aber eigentlich haben alle mitglieder des sextetts ziemlich ähnliche weiterentwicklungen aus dieser band heraus betrieben (vielleicht auch durch den erfolg von HEAD HUNTERS).
auch wenn viele vielleicht nur die single-version von „chameleon“ kennen, ist das gesamte album keine übung in reduktion, keine anbiederung, kein gemisch aus gebrauchten elementen. HEAD HUNTERS ist enorm abwechslungsreich, offen, ziemlich einzigartig in seiner direkten und indirekten ausstrahlung. smooth & spiritual jazz sind angedeutet, latin, funk und ein futurismus, der nicht nur linear von fortschritt und entkörperlichung träumt, sondern kurzschlüsse anbietet vom mangel in eine spekulative bessere zukunft. hancock hat das alles wenig später auch in ein einsames duett mit seinen maschinen übersetzt, dabei „maiden voyage“, „cantaloupe island“ und „dolphin dance“ aktualisiert (wie hier schon den „watermelon man“), aber das tolle an HEAD HUNTERS ist dann doch, wie hier eine band etwas zusammen entwickelt. „chameleon“ hat einen kollektiven credit.
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