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SAXOPHONE COLOSSUS
rollins, flanagan, watkins, roach, weinstock, van gelder (22.6.1956)
jetzt war ich mir eigentlich sicher, dass in dieser liste das albumformat ernstgenommen wird und entsprechende medienbewusste konzepte besondere wertschätzung erhalten – und dann kommt als rollins-spitzenprodukt eben doch nicht die FREEDOM SUITE ins rampenlicht, sondern diese durchbruch-session, die meiner ansicht komplett in 2 teile zerfällt. seite eins gehört für mich zum besten, was ich vom jazz dieser zeit kenne. und seite zwei besteht meiner ansicht nach aus zwei unnötig ausgedehten fillern, denen der biss der drei anderen stücke komplett abgeht. für beide aussagen darf ich wahrscheinlich widerspruch erwarten.
„st. thomas“ und „strode rode“ zu lieben, ist wahrscheinlich nachvollziehbar. tolle beispiele, wie ein analytischer zugang (von rollins und roach) eben nicht zu kühle, sondern zu großer hitze führen kann. der umschwung des ersten vom calypso in den swing, die stop-and-go-struktur (stau und ausbruch) des zweiten stücks sind alte tricks, aber hier einfach umwerfend. netze werden geworfen, über akkorde (rollins) und rhythmen (roach), und dazwischen springen sie frei umher. ein bisschen mackerhaft, autoritär und in totaler kontrolle, vorgebend, wo es langgeht – dann der kontrast zum reduziert spielenden flanagan, dem zwar manchmal die luft ausgeht, aber so selbstsicher bei sich bleibt, dass rollins dagegen umso angespitzter wirken darf (und: fantastisches klaviersolo über „strode rode“, wirklich – da wird hitze nochmal ganz anders erzeugt). und auch der balladenstandard profitiert von analyse und kontrast, rollins will da die ganze zeit über mehr als nötig, das setzt sich nichts, nimmt nichts platz, sondern wirft die ganze zeit fragen auf, warum das so intensiv unter druck gesetzt wird. schwachpunkt der gesamten aufnahme ist für mich watkins, der vielleicht einen schlechten tag hatte oder einfach nur seinen job machen wollte – sture, fast maschinelle begleitung, ein nicht sehr inspiriertes solo, als einziger kriegt er nicht mit, wie aus den fours ein schlagzeugsolo entsteht, nur beim blues ist er agiler, auch wenn sein intro dazu etwas unscharf ausfällt.
„moritat“ und „blue 7“ dagegen (ohne weh zu tun): entspannt, midtempo, nach 4 minuten sind alle eigentlich fertig, dann muss roach nochmal ran, dann reicht es immer noch nicht. vielleicht lag eine mittagspause dazwischen, vielleicht waren die verabredungen bei beiden zu locker, vielleicht mag ich einfach den mackie-messer-song nicht. aber da wird das programm zu einer dehn- und streckübung, während „st.thomas“, zunächst auf ein schimmerndes skelett mit polierten knochen reduziert, das plötzlich zu hüpfen anfängt, mich immer noch herausfordert.
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