Antwort auf: Jazz aus Südafrika: Jazz Epistles, Moeketsi, McGregor, Dyani, Pukwana, Feza, Masekela etc.

Startseite Foren Über Bands, Solokünstler und Genres Eine Frage des Stils Blue Note – das Jazzforum Jazz aus Südafrika: Jazz Epistles, Moeketsi, McGregor, Dyani, Pukwana, Feza, Masekela etc. Antwort auf: Jazz aus Südafrika: Jazz Epistles, Moeketsi, McGregor, Dyani, Pukwana, Feza, Masekela etc.

#12521597  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 69,357

Detail – At Club 7 | Das ist hier wieder eher off-topic … Frode Gjerstad (*1948) gründete Detail 1981 mit Johnny Dyani am Bass und dem englischen Drummer John Stevens (1940–1994 – er spielte u.a. mit Mike Osborne spielte und jammte bestimmt mit all den Südafrikanern in London) sowie dem norwegischen Pianisten Eivin One Pedersen (1956–2012). Als im Oktober 1982 die ersten Aufnahmen gemacht wurden, war Pedersen schon wieder weg. Doch 2017 kam bei Not Two aus Warschau ein Mitschnitt aus Oslo vom September 1982 wieder heraus, auf dem der Pianist gerade noch dabei ist – eine Woche später verliess er die Band, schreibt Gjerstad auf dem Cover. (Marek Winiarski, der Mann hinter Not Two, hat 1982 auch seinen ersten Plattenladen eröffnet, 1988 dann das erste Label, GOWI, und zu den frühen Förderern des späteren Simply Acoustic Trio aka Marcin Wasilewski Trio gehörte er auch.)

Die Band entstand im Dezember 1981, als Gjerstad und Pedersen, die schon seit 1975 zusammen spielten, Stevens nach Norwegen einluden für einen Gig im Jazzclub in den Red Sea Houses (dem Club der Eltern von Paal Nilssen-Love). „We immediately became friends and John wanted to expand the trio into a quartet. I asked who the bassplayer would be and he simply said: the best. Which was Johnny Dyani.“ Im Quartett spielte die Band sechs Gigs in Norwegen im März 1982 und dann folgte ein Auftritt beim Jazzfestival von Molde. Gjerstad war schon damals der DIY-Typ und man brachte ein paar frühe Aufnahmen auf Kassette heraus (so ephemer, dass davon auf Discocgs keine Spuren zu finden scheinen, obwohl laut Gjerstad auch von diesem Live-Mitschnitt aus dem Club 7 bereits damals eine Kassette erschienen war).

Anfang Oktober 1982 spielte die Gruppe dann als Trio (wieder ohne Bass) im Heinie-Onstad Centre ausserhalb von Oslo (Soft Machine Fans kennen die Location vielleicht) und auch da entstanden Aufnahmen (greifbar als „First Detail“ auf Rune Grammophon, ich kenne sie bisher nicht und weiss auch nicht, ob es die davor schon als Kassette oder LP gab) und dann einen Tag später (also 3. Oktober, nicht wie bei Not Two angegeben September?) im Club 7, als Quartett mit Dyani (die Infos kommen aus den Liner Notes, die Gjerstad für das Reissue unten schrieb, zwei Jahre nach der Veröffentlichung von „At Club 7“). Im Foldout der Not Two-CD gibt es ein tolles Foto der vier, um einen Citroën herum gruppiert, Dyani grinsend, ganz in schwarz mit der üblichen Wollmütze (auch die für einmal schwarz), Stevens bärtig, Pederson leicht nerdig bebrillt (man würde ihm den Job bei IBM sofort abnehmen), Gjerstad war zwar schon Mitte Dreissig, aber sieht noch sehr jung aus. Weiter ging es durch Norwegen und die kommende Woche endete in Kongsberg, wo es nach dem Gig eine grosse Diskussion gegeben habe, mit dem Resultat, dass Pedersen die Gruppe verliess – zwei Tage vor den ersten Studio-Sessions.

Und was ist mit der Musik? Die ist ziemlich toll, wird durch den Einsatz eines ARP-Synthesizers durch Pedersen und die drei Instrumente von Gjerstad recht abwechslungsreich. Dessen Hauptinstrument war damals noch das Tenorsaxophon, er spielt auch Sopransax und Bassklarinette. Die CD ist in fünf Teile geteilt, die nahtlos ineinander übergehen, alles frei improvisiert aber oft sehr melodisch und für mein Empfinden auch recht zugänglich – in den 2019er Liner Notes für „Day 2“ schreibt er zum Dilemma der Band: „Unfortunately, DETAIL was too much jazz for the free music people and it was too far out for the jazz people.“

Detail – Day Two | Am 11. und 12. Oktober 1982 nahm die Band an zwei Tagen im Staccato Studio in Stavanger, Gjerstads Heimatstadt, auf – nun als Trio, in der Formation, in der sie über Jahre Bestand haben sollte (nach Dyanis Tod übernahm Kent Carter). Vom ersten Tag wurde die LP „Backwards And Forwards / Forwards and Backwards“ erstellt (bei Impetus auch als CD wieder aufgelegt) und vom zweien Tag „Okhela «To Make a Fire»“, das 2019 bei NoBusiness als „Day Two“ wiederaufgelegt wurde. Diese beiden CDs – „At Club 7“ von 2017 und „Day Two“ von 2019 – sind die bisher einzigen Alben, die ich kenne, aber etwas mehr ist noch da, die CD „In Time Was“ mit Bobby Bradford (andere Gäste mit dem Trio waren Barry Guy, Paul Rutherford, Courtney Pine oder Harry Beckett) und irgendwas Digitales, beides gekauft, als Gjerstad ankündete, sich von Bandcamp zurückzuziehen.

„The session was so easy to play. The music came to us as soon we started playing. No talking – just the music.“ – Das ist doch recht bemerkenswert, denn die zwei Tage im Studio waren auch die allerersten, die das Trio in dieser Formation – Gjerstad/Dyani/Stevens – spielte. Und das gefiel Gjerstad auf Anhieb so gut, dass ihm klar war: in dieser Formation will er künftig spielen. Er schreibt : „I did not know anything about releasing music at the time so John gave the music away with no contracts being signed and no money involved! But they gave us some LPs… I was too excited to care.“ – Zu Dyani: „I am very proud to be on the two recordings we did in October 1982. I think this could possibly be one of the best example [sic] of Johnny Dyani’s creative playing and sound, thanks to John Stevens who did a great job in the studio, working very hard on Johnny’s sound to be as clear and balanced as possible.“ Das Ergebnis finde ich tatsächlich noch etwas besser als das Quartett – weniger wuchtig, transparenter logischerweise, der phänomenale Bassist klingt auch wirklich toll, und Stevens‘ freie Bebop-Drums werden in diesem Rahmen zur perfekten Ergänzung. Gjerstad setzt sich drauf, wühlt sich in die Rhythmen ein, wechselt wie im Quartett von melodischeren Passagen zu schroffen Kürzeln, grummelt und brummt, faucht und schnaubt (hier vor allem am Tenor und zusätzlich am Sopransax, die Bassklarinette hat Pause).

Joseph Jarman/Don Moye Featuring Johnny Dyani – Black Paladins | Wenn ich gerade bei „creative playing“ bin, kann ich auch noch drei Jahre zurück springen, nach Mailand in die Barigozzi Studios am 19. und 20. Dezember 1979. Immerhin steht Dyanis Name auch mit auf dem Cover, neben jenen der Art Ensemble of Chicago-Mitglieder Joseph Jarman und Don Moye. Beide spielen sie einen Lieferwagen voller Instrumente, Mitchell Saxophone (Sopranino, Tenor und Bariton), allerlei Flöten (Querflöte, Bambusflöte, „frog flute“), Bassklarinette, eine Muschel („shell conch horn“ – von irgendwo musste Steve Turre die Idee ja her haben), don Moye neben den üblichen Drums auch Donno (Talking Drum), Chèkèrè, Tumba Conga, Bendir, Rasseln, Trap Drums und
„bird calls“. Dyani spielt neben dem Bass auch Klavier und Tamburin und Jarman und er setzen auch ihre Stimmen ein. Los geht es mit Dyanis kurzem „Mama Marimba“ bevor es zwischen drei Jarman-Stücken auch Kalaparushas „Humility in the Light of the Creator“ gibt und „Ode to Wilbur Ware“ von Moye das Album beschliesst.

Los geht es mit Dyani am blumigen Klavier, Jarman an der Flöte und Moye an Handtrommeln, eine Art Spiritual-Fanfare und dann ein passender Groove mit Chants (ich tippe auf Dyani), Sopranino, Piano, Bass und Drums und zusätzlicher Percussion – da wurde ordentlich im Studio gearbeitet mit Arrangements und Overdubs. Nach diesem doch etwas überraschenden Einstieg geht es mit „In Memory of My Seaons“ ruhig und frei weiter: Bambusflöte in der tiefstmöglichen Lage, einzelne Schläge von Moye und Dyani im Hintergrund am Klavier – eine gespenstische Stimmung, aus der sich allmählich erahnbare Strukturen bilden – doch bevor etwas fest werden könnte, wechselt Jarman an die Querflöte, Moye spielt immer mehr auf der Snare, die Stimmung hellt sich merklich auf – die Flötenlinie könnte fast aus der neuen Musik stammen. „Humility in the Light of My Creator“ beginnt mit unbegleitetem gestrichenem Bass – übrigens auch hier hervorragend eigefangen. Nach einer Minute eine kleine Fermate, dann setzt Jarman am Tenor (der Ton!) zusammen mit Dyani ein, Moye trommelt ein wenig – es entsteht eine Rubato-Stimmung wie schon zu Beginn des Albums – doch hier scheint Coltrane durch das Dachfenster reinzugucken. Die Stimmung ändert sich vor allem, weil die Begleitung lebendiger und zerklüfteter wird – Jarman zieht das Hymnen-Ding durch … und ich muss es nochmal sagen: sein Ton!

Teil zwei beginnt mit dem Titelstück „Black Paladins“. Jarman rezitiert einen Text des im Mai 1968 von einem Polizisten in der New Yorker Subway ermordeten Poeten Henry Dumas, über etwas Schlagzeug und Flageolett-Töne vom Bass. „We shall be riding dragons in those days. Black unicorns challenging the eagle …“ – nachdem er die Worte wiederholt hat, fällt Dyani in einen Walking Bass, Moye swingt dazu und Jarman steigt am Barisax ein – und bald beginnen vor allem Moye und Dyani, den konventionellen Swing da und dort ein wenig zu sabotieren, seltsame Fills zu spielen, ungewöhnliche Akzente zu setzen – und Jarman bläst quasi als Kontrapunkt ein recht konventionelles Solo dazu. Dann Bass-Solo und sofort bricht auch Moye alles auf, aus dem Solo wird sogleich ein Duett. Nach einer Weile steigt Jarman dazu ein, mit einem Gestus, der den Solisten ankündet, doch das wollen die anderen nicht und holen ihn vom Ross herunter, binden ihn in ein immer dichter werdendes Gespräch ein. Für den „Ginger Song“ ist Jarman zurück am Sopranino und spielt das einfache Thema über eine bewegte Bass/Drums-Begleitung, um es am Ende ganz allein zu beschliessen. Mit Vogelpfeifen und einer Art Kipp-Groove beginnt der Closer, dazu zwei Bass-Spuren (arco und pizzicato) und Drums, Rasseln … und die Froschflöte? Nach zwei Minuten setzt der Arco-Bass zu einem Solo an und Jarman ist jetzt an einer seiner Flöten (Bambus?) zu hören. Hier werden wieder ganze Studio-Landschaften aufgebaut und in einen endlos kreisenden Groove gepackt, in dem sich ständig einzelne Elemente (Spuren) verändern, aber das grosse Ganze stabil bleibt. Irgendwann kommt eine Bassklarinette dazu, tritt aber nicht mit dem Arco-Bass in den Dialog sondern fügt sich irgendwo zwischen Solo und Begleitung ein – die spielten das ja alles nicht simultan … was jetzt keine Kritik sein soll, denn das Resultat ist echt toll und die acht Minuten vergehen – wie das ganze Album – im Flug.

Louis Moholo / Larry Stabbins / Keith Tippett – Tern | Auch Moholo kam bestens mit anderen Kontexten zurecht – nicht nur mit Harry Miller an seiner Seite (oder im Duo mit Cecil Taylor oder Irène Schweizer) sondern auch etwa bei einem Auftritt beim Total Music Meeting im November 1982 mit Larry Stabbins (ts/ss) und Keith Tippett (p). Die Doppel-LP liegt mir leider nicht vor, nur eine Kopie der CD, auf der zehn Minuten (das Stück „Shield“) fehlen. Auch so gibt es hier fast fünf Viertelstunden Free Jazz – stellenweise transparent und leicht, dann auch dicht und wuchtig. Mit Tippett hatte Moholo natürlich oft gespielt, Stabbins (*1949) ist mir nicht näher bekannt. Er kam in Bristol zur Welt, spielte bald die Musik von Junior Walker oder James Brown mit irgendwelchen Tanzbands, kam mit 16 zu Tippett und dessen Bands Centipede, Ark, Tapestry usw. – und so ergab sich das Trio mit Moholo – von dem überdies gerade die jüngste Ogun-Veröffentlichung stammt, beim Label selbst zumindest als CD schon vergriffen). Für meine Ohren ist das gerade wegen Moholos Drum-Attacken, seiner völlig eigenen Time, die zugleich treibt und schleppt, so toll. Stabbins ist allerdings schon ziemlich gut (er hat in den Siebzigern auch mit John Stevens‘ SME und kurz mit der Brotherhood of Breath gespielt, später mit Tony Oxleys Band oder mit Barry Guys London Jazz Composers Orchestra und scheint zwischen Free und Smooth kaum was ausgelassen zu haben), und Tippett ist sowieso ein toller Pianist. Zwischen ihm und Moholos Bass-Trommel fehlt der Musik kein Boden, im Gegenteil öffnet die Abwesenheit des Kontrabasses das Gewebe auch, lässt es offener klingen, selbst wenn Tippett rasende Linien und Cluster aneinanderhängt. Ein langes, aber richtig tolles, sehr abwechslungsreiches und vielschichtiges (Doppel-)Album.

Joe Bonner & Johnny Dyani – Suburban Fantasies | Zurück zu Dyani und noch auf ein Nebengeleise – nach den Duos mit Abdullah Ibrahim und dem (einmaligen?) Treffen mit Mal Waldron folgte im Februar 1983 auch ein Duo-Album für sein dänisches Label, Steeplechase, und zwar mit dem Label-Kollegen Joe Bonner, mit dem Dyani auch schon ein Trio-Album aufgenommen hatte („Parade“, 1979, Billy Higgins am Schlagzeug – meine CD ist leider gerade verschollen). 1995 gab es das Album auf CD wieder, mit einem fast neunminütigen Bonustrack, „The Year of the Child“, dem zweiten Dyani-Original und längsten der damit insgesamt sieben Stücke, die das Duo am 18. Februar 1983 im Easy Sound Studio in Kopenhagen aufnahm. Nach dem oft hochenergetischen Spiel des Moholo/Stabbins/Tippett-Trios ist das hier ein Aufatmen. Dyanis Bass ist zeittypisch etwas dünn und vielleicht eine Spur zu nah aufgenommen, dem Klavier fehlt zwar zum Glück nicht der Körper, aber die Tiefen wirken auch nicht sonderlich satt. Ein paar Minuten Eingewöhnung und der etwas gar virtuose Opener (Bonners Titelstück) reichen aber, um reinzufinden. Schon die Coda ist toll, und der Groove in „The Walk Street“ dann auch. Bonners von Tyner geprägtes Piano und Dyanis tiefer Bass ergeben einen guten Mix – und ein völlig anderes Duo als die beiden mit Brand und Waldron, konventioneller im Eregebnis und auch in der Rollenverteilung, auch nicht so introspektiv, aber dennoch ziemlich toll. In „Copenhagen Revisited“ kriegt Dyani etwas mehr Raum, gestaltet sein Solo fliessend aus dem Stück heraus, findet zu einem Minimalismus, der auch bei Waldron gut gepasst hätte – und das führt Bonner für einen Moment auf andere Pfade, er hastet nicht gleich wieder davon sondern hält einen Moment inne, hört zu und taucht dann eher tiefer in den Groove ein als dass er ihm wieder entflieht. Seite 2 der LP beginnt mit „Blues for Nick“, dem einzigen Dyani-Stück und dem kürzesten Stück der LP, das einen bluesigen Groove irgendwo zwischen Sonny Clark und Herbie Nichols bietet. „Soap Opera“ heisst das nächste Bonner-Original – und längst wirkt das Duo ausgeglichener, der Bass trotz des konventionell-schönen Materials – fast wie ein Pop-Song – ziemlich eigenständig. „We Will Be Together“ beschliesst die LP, das fünfte und letzte Bonner-Original – und inzwischen bin ich in diesen Stücken mit ihren catchy Hooks und einfachen Motiven längst angekommen. Auf der CD folgt nun noch ein zweites Stück von Dyani – und ich finde, das tut dem Programm echt gut, weil das Schema der catchy Bonner-Hooks zwar nicht gesprengt wird, aber der Bassist sich nochmal etwas mehr Raum nehmen kann und die Nummer dem Album noch ein paar Facetten beifügt. Auf den einsamen Höhen der Duos mit Ibrahim und Waldron bewegt sich das auf keinen Fall – aber ich mag’s doch gerne immer mal wieder anhören.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba