Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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Ellery Eskelin Trio New York – About (Or On) First Visit | Meine historische Neuheit ist jünger: 2025 und 2011/13 – zwei Alben eigentlich, die aber soweit ich weiss nie erschienen sind? Das Orgeltrio mit Gary Versace und Gerald Cleaver im Systems Two in Brooklyn am 10. Februar 2011 und am 31. Januar 2013, das Konzept ist beide Male dasselbe, aber das erste Mal gibt es fünf Stücke und 75 Minuten, das zweite Mal sechs und 57, also auch welche, die um ne Viertelstunde dauern. Bill Shoemaker beschreibt in den Liner Notes ein wenig den Hintergrund mit Eskelins Mutter Bobbie Lee, die von 1960 bis 1966 in Baltimore aktiv war und aufhörte, als der Sohn sechs Jahre alt war. Er liebte früh die Saxer aus den alten Orgeljazz-Bands, allen voran natürlich Gene Ammons („The Sun Died“), als er nach New York kam, landete er 1983 einen Gig im Quartett von Jack McDuff (Dave Stryker/Joe Dukes) – und obwohl er zunehmend in freiere Gefilde vordrang, spielte er manchmal Standards: mit der tollen Gruppe Joint Venture (Paul Smoker, Drew Gress, Phil Haynes – dicke Empfehlung für das 3-CD-Set „4 Horn & What? – The Complete American Recordings“!) aber auch wann immer er daheim war mit seiner Mutter an der B3. Als es der Mutter nicht mehr gut ging, schenkte sie dem Sohn die Orgel, die ab da in der Wohnung der Familie in Manhattan stand und bei Sessions mit Freunden manchmal zum Einsatz kam. Allerdings passte das Instrument nicht immer zur freien Musik, die da gespielt wurde – oder die Leute, die da waren, kamen mit dem Instrument nicht recht klar. In Eskelin wuchs aber der Wunsch, eine Orgelband zu gründen und er horchte sich um. Gary Versace wurde ihm empfohlen, und dass der gerade ein Duo-Album mit Lee Konitz gemacht hatte, passt wie die Faust aufs Auge, denn das Konzept, das Eskelins Trio hier umsetzt, passt sehr gut zu jenem des späten Konitz: Standards werden eingekreist, demontiert, rekonstruiert … wobei es da keine Thema-Solo-Thema-Abläufe gibt, sondern die Stücke sich aus den freien Annäherungen und Umkreisungen mal schneller, mal langsamer herausschäle: „Memories of You“ ist das erste im ersten Set, dauert gemäss Rückcover 1:17, während der ganze erste Track der CD 16:47 dauert und „About (or On) … Rumination“ heisst. So geht es weiter mit „About (or On) … Monk/Conjuring/Deisre/Endless“ und den Standards „Off Minor“, „Witchcraft“, „Lover Come Back to Me“ und „How Deep Is the Ocean“. Beim zweiten Album funktioniert das genau so, aber die Standards nehmen auch mal mehr als eine Minute ein: im ersten Track, „About (or On) … Celestial“ (8:49) gibt es ganz 4:53 von Lionel Hamptons „The Midnight Sun“, danach auch Porter („Happenstance“/“Just One of Those Things“), erneut Monk („We See), „Aspiration“ und „My Ideal“ (Whiting/Chase – auch hier gehört fast die Häflte der Zeit dem Klassiker), „Regret“ und „After You’ve Gone“ sowie als Closer sehr passend „Flame“ und „Flamingo“. Ein ähnliches Konzept spielt Eskelin auch im deutsch-schweizerischen Trio mit Christian Weber und Michael Griener (zwei tolle CDs auf Intakt und bei mir auch ein superbes Konzert). Dabei kreist er nicht spröde-melodiös wie Konitz um die Themen (obwohl ich im Ton durchaus auch Parallelen heraushören mag) sondern das ganze vermischt sich auf eine völlig natürliche Art, in der das freie Spiel, die Erfahrung, die besonders Eskelin und Cleaver auf dem Gebiet mitbringen, nahtlos mit dem Standards-Spiel verschmilzt. Haut mich gerade ziemlich weg!

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba