Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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Wobei „Shoah“ ja auch mehr ist als eine Doku … eins meiner eindrücklichsten Film-Erlebnisse überhaupt auf jeden Fall, mit einigen anderen an zwei Abenden in einem passend fensterlosen Hörsaal an der Uni gesehen, quasi offeriertes Begleitprogramm zu einer Vorlesung – oder einem Seminar, das weiss ich nicht mehr – über Literatur und die Shoah. Die Sätze brennen sich ein, Wort für Wort. Und die Menge an Unfassbaren ist so immens, dass man das echt nicht verarbeiten kann. Oder eben erst im Lauf der Zeit.

„Nuit et brouillard“ ist ähnlich wirkungsvoll – den trug ich auch im Kopf, als ich selbst in Birkenau war („Shoah“ kannte ich da noch nicht).

Sehr eindrücklich fand ich neulich auch „Le Retour“, den kurzen Dokumentarfilm von Henri Cartier-Bresson – da ist die Shoah nicht Hauptthema, aber was man am Rand (auf dem Weg mit freigelassenen Franzosen aus Lagern) mitkriegt, reicht.

Was ich bei Lanzmann (es gibt ja noch weitere Filme, die auch mitgezählt werden dürfen, ich kenne sie noch nicht alle) mit „mehr“ meine ist, wie zwingend er Wort und Bild zusammenzufügen weiss. Da sind 8 oder 9 Stunden Material – aber jede verdammte Szene ist absolut zwingend montiert, geschnitten usw. Bei vielen Dokumentarfilmen wirkt für mich so manches oft etwas beliebig … oder es wird etwas improvisiert und es fügt sich glücklich. Lanzmann hat elf Jahre an dem Film gearbeitet und das merkt man ihm halt auch an. „Est-ce qu’il peux décrire ce silence?“ steht unter seinem Namen auf dem Grabstein: „Kann er diese Stille beschreiben?“ – Er konnte es, tatsächlich. Und er konnte es, ohne sie zu brechen.

Und wo ich gerade bei Varda war und Fotos hervorsuche:

Die letzten Tage im Heimkino:

Les Visiteurs du Soir (Marcel Carné, FR 1942)
L’éternel retour (Jean Delannoy, FR 1943)
Félicie de Nanteuil (Marc Allégret, FR 1945)
La Vie de Bohème (Marcel L’Herbier, FR 1945)

Ein letzter aus der oben gezeigten DVD-Box steht heute Abend noch an … bei „Félicie“ – wie „Bohème“ schon 1942 gedreht – wirkte Curt Alexander am Drehbuch mit, der Freund von Ophüls. Nach den Dreharbeiten in Nizza wurde er verhaftet, kam via Drancy nach Auschwitz, dann auf einen Todesmarsch nach Flössenburg, in dessen Aussenlager in Gröditz er im April 1945 starb. Micheline Presle ist super, aber der Film – überhaupt diese Filme – ist halt schon „cinéma de papa“. In „La Vie de Bohème“ (nach Murger und mit etwas Musik von Puccini) ist mit Maria Denis als Mimi eine Italienerin zu sehen – was die zeitnahe Veröffentlichung des 1942 gedrehten Films verhinderte, da im Sommer 1943 die Alliierten in Italien landeten und Mussolini gestürzt wurde. Witziges Detail hier ist, dass im Film das Aufkommen eines neuen Instruments inszeniert wird: es gibt zwei Szenen, in denen ein Saxophon im Bild zu sehen ist und die passende Musik auf der Tonspur läuft. Für die damaligen Verhältnisse ist der Film richtig opulent produziert, es wurden monatelang Sets gebaut, bevor gedreht wurde – das ging nur dank der Co-Produktion, die 1942 mit Cinettecittà ins Laufen kam … aber die dann auch die Veröffentlichung verhinderte, die erst nach Kriegsende nachgeholt wurde (17. Januar 1945 sagt IMDB, mit einem Termin im Dezember 1944 in Brüssel).

Die ersten beiden Filme sind allerdings schon ziemlich meisterhaft. „Les Visiteurs du soir“ ein Spätling des poetischen Realismus mit einem tollen Cast und wahnsinnig schönen Bildern … aber halt voll von der typischen, für unser Empfinden so übertriebenen französischen Bühnen-Schauspielkunst (worunter auch „Félicie“ etwas leidet, aber der spielt ja immerhin im Schauspielermilieu). Delannoys Film ist eigentlich ein Cocteau-Film: der schrieb das Drehbuch und suchte den Hauptdarsteller aus – Jean Marais, den er zu seinem Tristan machte, die Geschichte ist an die Geschichte von Tristan und Isolde angelehnt – sowie den Regisseur aus. Gedreht wurde neben den Studios in Nizza auch am Genfersee und beim Château de Pesteils in der Auvergne. Dass die zwei Filme grossen Erfolg hatten, überrascht nicht … dem von Carné sagte man auch nach, eine Allegorie auf die Gegenwart – die deutsche Besatzung – zu sein, mit dem Teufel als einer Chiffre für Hitler.

La Vérité (Hirokazu Koreeda, FR/JP 2019) – leider nur in der deutschen Version via Arte … gefiel mir Anfangs nicht besonders, aber am Ende fand ich ihn ganz gut.

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