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EASTERN SOUNDS
lateef, harris, farrow, humphries, edwards, van gelder (5.9.1961)
ein klassiker hier in diesem forum, ein in seiner geste und geschlossenheit außergewöhnliches album, das sich nicht auf „frühe weltmusik“ reduzieren lässt, denn das machte lateef vor diesen aufnahmen schon jahrelang. ein in ein samtiges dunkel eingehülltes stimmungswerk, einfache strukturen eigentlich, über bluesige kanten gelegt, mit ein paar asiatischen instrumentenklangfarben und zwei aus sandalenfilmen ausgeborgten themen. die stimmung ist weder leicht noch hektisch, manche erwähnen den detroitbezug von lateef, harris und farrow als erklärung für die dunkle eleganz dieses bandsounds, der vielfach auf john coltrane verweist: „india“ live im village vanguard hat auch eine oboe, hier spielt der halbbruder seiner späteren frau ein instrument namens rubab (hier „rabat“ genannt), und der rollende groove auf „snafu“ ist von elvin jones abgelauscht. die gravitas von lateef kommt durch das unforcierte modellieren von manchmal nur wenigen tönen, nicht nur im opener, den er mit seiner tonreduzierten und tatsächlich aus ton gemachten chinesischen flöte bestreitet, es gelingt ihm auch auf der fast stillstehenden ballade „purple flower“ ganz herkömmlich mit tenorsaxofon. barry harris verzichtet auch auf horizontales ausbreiten von linien, schichtet dafür türme aus ambivalenten akkorden hinzu, die wie im moment und im austausch überlegt erscheinen. interessant auch der filmbezug, die filmthemen natürlich, aber auch die soundtrackaffine mood-arbeit, die dunkle straßen, glitzernde effekte, interessant kadrierten stillstand evozieren. van gelder hat großen anteil daran, die musik scheint ein bisschen zu schweben, die drums klingen unglaublich gut, selbst barry harris findet sich in der wüste zurecht. es liegt etwas in der luft hier, ideen, die viele musiker*innen damals interessierten, wie man linerare bewegungen beschränkt und alles in die tiefe staffelt, die hektik herausnimmt und und andere welten durch die urbanen tonstudios wehen lässt. eine durchgelüftete musik, die genau weiß, wo sie steht.
Wiederhören macht Freude: Ganz wunderbares Album! Die Wertschätzung des Albums in diesem Forum ist erfreulich und spricht für die Forianer. Ein bisschen Senf von mir dazu:
Das Album balanciert sehr schön zwischen schmusiger Gefälligkeit und künstlerischer Herausforderung, Exotica und Vertrautheit. Die Veröffentlichung auf dem – wie der Name sagt, auf „mood“ spezialisierten – Prestige Unterlabel Moodsville ist hier Programm und in den liner notes wird Yusef Lateef als hier „more easily palatable“ („leichter genießbar“) beschrieben.
Beim Wiederhören denke ich, dass YL sich mit fast kindlicher Unbefangenheit und Neugier Musik aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen nähert und sie vermischt. Da ist die chinesische Tonflöte mit den nur 5 Tönen, die zentralasiatische Rubab, ein Blues (!) For The Orient, die zwei mehr oder weniger faux oriental Sandalenfilm-Liebesschnulzen (könnte man fast so sagen …) und in diesem Mix wirkt der einzige Standard Don’t Blame Me fast schon außergewöhnlich. Nord-Amerika, Naher Osten, Afghanistan und China werden lustig miteinander kombiniert. Aber östlich des Bosporus’ scheint für den Westler sowieso alles geheimnisvoll miteinander zu verschwimmen.
Umso erstaunlicher, dass das alles gar nicht gezwungen, zusammengewürfelt oder gar albern klingt, sondern völlig rund und stimmig. Lateef nimmt das alles ernst – aber nicht zu ernst – und es gelingt ihm, es zu integrieren. Einerseits ist das sehr facettenreich und jedes Stück hat seinen ganz eigenen Charakter, wobei das verbindende ein mehr oder weniger starker „orientalischer“ Bezug ist, andererseits halten die geschmeidig spielende Band und YL als bezaubernd zarter Melodiker auf Flöte, Saxofon und Oboe das alles zusammen.
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)