Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

#12515101  | PERMALINK

friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

Beiträge: 5,430

vorgarten52

MONK’S DREAM
monk, rouse, ore, dunlop, macero, geelan (31.10./1.11./2.11./6.11.1962)
während das peterson trio ruhig durch die nacht dampft, löst thelonious monk (erster eintrag in dieser liste) das gleichmaß fast komplett auf. das schlagzeug ist stark synkopiert, der bass kommt immer wieder zwangsläufig ins stolpern, das saxofon kickt und das klavier stört. eine kette von dissonanzen und scheinbar falschen tönen, die im rythmus aufgefangen wird – jede rechnung aus brüchen geht auf, alles ergibt einen sinn, wenn der ryhmus derartig gut lesbar ist. alles klingt frisch hier, im aufwärmen der bereits eingespielten originale für columbia, weil monk nach laune neue harmonien erfindet und rouse die neuen signale hört. das klaviersolo im titelstück verschiebt das, was als standard gilt, sehr weit ins offene – und die tatsächlichen standards haben neue spitzen, die sich in schrägen rampen verkeilen. das kurze „just a gigolo“ ist fast entwaffnend roh, und darin schon fast wieder sentimental. und die aufnahme hat raum und luft und eine selbstbewusste große geste: klassische dissonanz. verkantetes ansteuern des tons, bis er sitzt und anspringt.

Schön geschrieben! Aber hier wird schneller geschrieben als ich hören kann. Da komme ich kaum mit.

Thelonious Monk war einer meiner Erstbegegnungen mit Jazz, ich glaube vermittelt durch das gar nicht so üble Tribut-Album That’s The Way I Feel Now. Einige Zeit später habe ich ein ganzes Bündel der damals von zyx vertriebenen Prestige und Riverside-Alben als CDs zum Schnäppchenpreis bei Zweitausendeins gekauft. Das war damals ziemlich faszinierend. Monks Columbia-Aufnahmen habe ich erst später kennengelernt und kenne auch nur wenige. Monk’s Dream dürfte eins der letzten Alben von Monk sein, die ich gekauft habe. Da erlahmte mein Interesse schon ein wenig. Und im Nachhinein kann man sagen, dass bei Monk auf Columbia auch eine zunehmende Redundanz einsetzte.

Nach laaanger Zeit jetzt also wieder Monk’s Dream eingelegt. Aus der neu gewonnenen Distanz betrachtet, hat das schon wieder seinen Reiz. Zwar wirkt Monk hier nicht mehr ganz so faszinierend exzentrisch wie in den Jahren davor, dafür klingt die Musik aber gereift und rund, sicher auch von Produzent Teo Macero etwas konsumentenfeundlicher produziert.

Manchmal denke ich, wie einfach sich diese Musik anhört. Das Thema von Bright Mississippi könnte auch ein Kinderlied sein. Aber dann werden diese einfachen Themen auseinander genommen und anders wieder zusammengesetzt, auf den Kopf gestellt, gedehnt und gestaucht. Monk scheint zwischendurch ein paar Töne zu vergessen und sie dann schnell hinterher zu werfen, scheint mal einen Ton zu hoch, dafür aber einen anderen zu tief zu spielen, mal einen zu kurz, dafür einen anderen zu lang und die Akkorde klingen manchmal etwas schief. Aber alles zusammen ergibt wieder Sinn!

Bolivar Blues (der ursprüngliche Titel lautete Ba-Lue Bolivar Ba-Lues-Are, auch so ein Monkismus, den man hier etwas geglättet hat) ist eine feine Coverversion von Monks eigenem Stück, mit der schönen neuen Klaviereinleitung des Themas und eines der grandios genial bescheuertsten Kalviersoli, die ich kenne. Ab ca. 4:15 bis 5:00. Einfach nur einen Ton spielen, immer die gleiche Tonlänge, immer die gleiche Akzentuierung, die Tastatur hin und her, hoch und runter. Ping ping pang pong ping pang pong pang ping … Jeder Klavierlehrer würde davon abraten. Aber wie spannend Monk das macht!

Wahrscheinlich reiner Zufall, das Monk’s Dream in der RS-Liste direkt auf Oscar Petersons Night Train folgt. Viel unterschiedlicher können zwei Pianisten kaum sein. Berühmt berüchtigt ist der Blind Fold Test mit Thelonious Monk von 1966, bei dem er bei einem Stück von Oscar Peterson einfach aufs Klo geht.

Monk’s Dream klingt mir Jahre nach der Erst- und Letztbegegnung wieder schön frisch und macht Spaß. Vielleicht würde ich Monks zweitem Album für Columbia, Criss Cross, knapp den Vorzug geben, allein wegen des Titelstücks und Crepuscule With Nellie. Aber das ist Haarspalterei.

--

“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)