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Don Cherry – Blue Lakes | Nach viel Mike Osborne – zum Teil mit Harry Miller und Louis Moholo und daher auch hier durchaus nicht off-topic – kann ich mal etwas gebrauchen, das mehr Raum lässt. Und ich biege mal kurz zu Johnny Dyani ab, dem Bassisten, der mit den Blue Notes 1964 nach Europa kam, wo er 1986 mit 39 Jahren verstarb, ohne je wieder in seine Heimat zurückgekehrt zu sein. Don Cherry hatte sich mit seiner schwedischen Frau Moki in den späten Sechzigern im Süden von Schweden niederlassen – im alten Schulhaus des Dorfes Tågarp, in dem fortan Konzerte, Workshops, Ausstellungen oder Filmvorführungen stattfanden. Zum Umfeld, in dem Cherry sich in den Jahren bewegte, gehörte auch der türkische Percussionist Okay Temiz – und im April 1971 entstanden in Paris Live-Aufnahmen im Trio: Don Cherry (pocket t, conch shell, p, celesta, fl, perc, voc), Johnny Dyani (b, perc, voc), Okay Temiz (d, perc). Sie erschienen erst 1973 bzw. 1974 in Japan (bei BYG, wobei ich keine Ahnung habe, wie das mit dem frz. Mutterlabel zusammenhängt). Auf dem zunächst unbetitelten Doppelalbum, das später „Orient“ genannt wurde, sind auf der kürzeren zweiten LP um die 25 Minuten vom Konzert zu hören, das Doppelalbum „Blue Lake“ enthält dann nochmal über eine Stunde Musik vom selben Konzert. Nach dem Opener „Blue Lake“ stellt Cherry die Band vor und kündet Musik u.a. von Dollar Brand an. 32 Minuten dauert „Dollar and Okay’s Tunes“, danach folgen nochmal 27 Minuten „East“ – beide auf Vinyl in zwei Teilen. Ich habe davon eine italienische Bootleg-CD-Ausgabe, die die japanischen Liner Notes widergibt, und ich weiss nicht, wie es genau zu diesem Trio kam. Die Musik ist allerdings ziemlich toll, oft einfach ein frei aufspielendes Jazz-Trio mit einer verspielten Trompete, die über perkussiven Beats des Drummers und dem auch gerne mit Bogen gespielten Kontrabass tänzelt und manchmal so leichtgewichtig schwebt wie ein Vogel, der mit regungslos gespreizten Flügeln hoch am Himmel Aufwinde zu nutzen weiss. Dazwischen setzt sich Cherry ans Klavier – ein Klaviertrio wird dann nicht aus der Gruppe: Cherry spielt Melodiefetzen, Riffs, es gibt Chants dazu. Dyani kriegt viel Platz im Trio aber auch solistisch, spielt sehr frei, überlässt Melodisches oft Cherry, steuert lieber flächig nervöse Arco-Passagen am Rand des Tonalen bei, aber steuert auch repetitive Ostinato-Figuren bei. So auch mitten in „East“, wenn der Groove fliessend von Südafrika in die Türkei übergeht, Cherrys Chants plötzlich durchs Horn fortgesetzt werden (oder ist das hier die Muschel? Könnte sein!) … nach dem kurze Einstieg jedenfalls zwei faszinierende Trips, die sich durch und durch organisch entwickeln und einen enormen Reichtum an Rhythmen, Riffs, Melodien bieten, bis hin zum völlig freien Spiel, wo sich alles auflöst – und doch stetig weiter fliesst.
Johnny Dyani / Mongezi Feza / Okay Temiz – Rejoice | Im Herbst 1972 fanden Dyani und Temiz erneut zusammen – wieder im Trio mit einem Trompeter, dieses Mal mit Dyanis Kollegen aus den Blue Notes, Mongezi Feza. Am 21. Oktober 1972 spielten die drei im Museum of Modern Art von Stockholm („Filialen“ heisst das oder der Standort, an dem sie spielten) – und 1988 brachte John Jack vier Stücke vom Konzert auf Vinyl heraus (Cover unten). Auf der obigen Doppel-CD nimmt der Mitschnitt die erste CD ein und wird durch einen erstmals veröffentlichten 20minütigen (unvollständigen) Bonustrack ergänzt. Am 2. November wurde das Trio erneut live in Stockholm mitgeschnitten, dieses Mal im Teater 9, und daraus entstanden die Sonet-LPs „Music for Xaba“ und „Music for Xaba Vol. 2“. Hier übernimmt Dyani gelegentlich das Klavier (nur auf den Sonet-Alben), während Feza auch etwas Percussion spielt und wie Dyani die Stimme einsetzt. „Music for Xaba“ war damals auch der Name, unter dem das Trio auftrat. „Xaba“ ist das Xhosa-Wort für „Gott“. „I think Xaba was as much hope as love“, schreibt Thomas Millroth in seiner Liner Notes (im CD-Cover abgedruckt, vermutlich die LP Liner Notes – es gibt bei Discogs leider nur die winzige Version des Covers und das Label der B-Seite – die Zeichnung auf dem Cover stammt von Dyani).
Das LP-Cover aus den Achtzigern setzt die Hierarchie – und die Musik ist auch anders: viel jazziger, zupackender, direkter. „Mad High“ heisst das erste der vier 10-13minütigen Stücke der LP und stammt wie der lange Bonustrack von Feza, die drei dazwischen von Dyani: „Makaya Makaya“ wird dem Drummer gleichen Vornamens (Ntshoko) gewidmet sein und „Pukwana“ dem Saxophonisten der Blue Notes – mit einem langen, tollen Bass-Solo. Das dritte Dyani-Stück, mit dem die LP-Ausgabe endet, heisst „Imbongolo“. Wir kriegen hier Temiz als Jazzdrummer zu hören, Feza mit seiner üblichen nervösen, rasend schnellen und gerne in die höchste Lage springenden Trompete – die Cherry vermutlich einiges verdankt aber dennoch eine ganz eigene Handschrift verrät, für die wiederum Clifford Brown wichtig ist. Zwischen diesen Trios geht jedenfalls eine neue musikalische Welt auf, von der es zu Gruppen wie Codona oder Shakti nicht allzu weit zu sein scheint. „We love you. You don’t have to love us“, schreibt Dyani am Ende seiner handschriftlichen Liner Notes auf „Music for Xaba Vol. 2“ – und das passt perfekt als Zusammenfassung für die Musik dieses Trios.
„Rejoice“ kann man zusammen mit Teil 2 der Doppel-CD – „Together“, 1979/80 aufgenommen und 1987 erstmals veröffentlicht (dazu dann später, falls ich das Dyani-Fass auch noch aufmache) – hier komplett streamen (die Cadillac-Veröffentlichungen von Mike Osborne oder die Soho-Sessions von Dudu Pukwana mit Bob Stuckey und einiges mehr ist da nur zwei Klicks entfernt):
https://johnnymbizodyani.bandcamp.com/album/rejoice-together
Von den beiden Sonet-Alben müsste ich (wie von „Orient“) irgendwo Behelfs-Files haben, aber ich will gerade mein erweitertes Moholo-Hörprogramm nicht zu sehr strapazieren … und hänge daher als nächstes das Feza-Dokument an, mit dem ich ihn einst zum ersten Mal richtig ausgiebig hören konnte:
Mongezi Feza / Bernt Rosengren Quartet – Free Jam | Statt Johnny Dyani ist hier mit Feza (t) und Temiz (perc) das Quartett von Bernt Rosengren zu hören. Neben Rosengren auch Tommy Koverhult am Tenorsax (Rosengren auch Altsax, Flöte und Klavier, Koverhult auch Flöte und Euphonium), dazu Torbjörn Hultcrantz (b) und Leif Wennerström (d). Don Cherry hatte natürlich auch längst mit Rosengren und seiner Gruppe gespielt, ebenso wie mit Temiz – und so ergab es sich, dass Feza und Temiz im Rahmen von Jam-Sessions oder Proben in der ehemaligen ASEA-Fabrik (die schwedische ASEA fusionierte später mit der schweizerischen Brown, Boveri & Cie zur ABB) vorbei guckten, wo der Künstler Olle Bonnier ein Atelier hatte (Malerei und Glasbläserei). Das Rosengren Quartett gab es da schon einige Jahre und es war wohl die wichtigste (Avantgarde-)Band der Zeit in Schweden (mit dem Doppel-Album „Notes from the Underground“ erschien 1973 bei EMI-Harvest ihr grosser Klassiker). Die Aufnahmen, die 2004 bei Ayler Records erschienen, sind bei drei Sessions entstanden: die drei „Mong’s Research“ auf CD 2 am 15. November, die ganze CD 1 und die ersten drei Stücke auf CD 2 am 24. November, und das letzte Stück auf CD 2 schliesslich am 5. Dezember 1972. Feza wird auf diesen Sessions wie Keith Knox in seinem kurzen Text im Booklet schreibt (es gibt noch ausführliche Liner Notes und Fotos vom Quartett sowie welche von Feza, die Rita Knox vermutlich beim selben Konzert wie die auf dem Rückcover von „Music for Xaba Vol. 2“ machte), tatsächlich zum Bandmitglied – und die Band klingt hervorragend. Mit zwei Stunden Spielzeit ist auch das ein Brocken – und keine Musik, die einen Zeilenkommentar benötigt. Das kreative Level aller sechs Beteiligten ist beachtenswert, wie gut sie als Band funktionieren wie gesagt ebenfalls. Allein die mittlere Session zeitigte 90 Minuten Musik, wobei das all alles nur Ausschnitte sind. Das öffnende erste „Theme of the Day“ dauert ganze 39 Minuten (und gleitet in den letzten Minuten vor dem Fade-Out in einen BoB-Klassiker, glaube ich?), die drei „Group Notes“ zwischen knapp 8 und 21 Minuten (Nr. 3, das längste, das die Ausschnitte beschliesst, bietet zwei besonders tolle Feza-Soli, und dazu noch ein hervorragendes von Rosgengren), dazu kommen ein kurzes erstes „Mong’s Research“ und ein zweites „Theme of the Day“. Vom frühesten der drei Termine stammen dann „Mong’s Research“ Nr. 2 bis 4, alle 4-5 Minuten kurz (Feza ist over the top hier, mit Rosengren am Klavier in den ersten zwei, in denen Koverhult pausiert, im letzten spielt er dann im Hintergrund tatsächlich Euphonium). Vom dritten Datum im Dezember stammt das 14minütige „Group Notes IV“, mit dem die zweite CD endet (und anscheinend spielt hier auch Göran Freese mit – der Saxophonist, der damals mit zwei Mikrophonen die Aufnahmen machte und der auch für die drei „Music for Xaba“-Alben sowie Don Cherrys „Organic Music Society“, „Eternal Now“ und die bei Blank Forms erschienenen „Summer House Sessions“ verantwortlich war). Das alles ist wieder brennend intensive Musik – und damit schliesst sich der Bogen zu Mike Osborne, mit dem ich meinen Tag eröffnet habe. Es gibt hier zahlreiche überbordende Kollektiv-Improvisationen (manchmal mit Rosengren am Klavier), die Linien der Bläser verflechten sich, Wennerström und Temiz sorgen für einen Puls und reichern diesen immer wieder neu und anders an. Das ist am Ende oft recht konventioneller Free Jazz, der für meinen Geschmack etwas öfter in Grooves und Melodien kippen dürfte – aber es ist eben auch eine Gelegenheit, Mongezi Feza für einmal in ganz anderem Kontext – und ausgiebig und in Form! – hören zu können. Und das bereitet natürlich Freude.
Die kürzeren Stücke kann man auf Bandcamp streamen – aber das ergibt hier natürlich nur einen kleinen Ausschnitt aus dem ganzen Bild.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba