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Siegfried Kessler … vergass ich im Festivalbericht: von ihm stammte – für mich überraschend – der Soundtrack zum ersten Film, den ich vor zehn Tage hier sah, „Ghazl El-Banat“ von Jocelyne Saab (Libanon/Frankreich 1985 – Infos hier).
Und Shepp sah ich dann auch noch – neben Cecil Taylor … „We Have Come Back“ von seiner zweiten Reise nach Algerien, als er ein paar Monate nach dem Festival nochmal hin reiste und auch mit Tuareg-Musikern spielte. Das hier hab ich drüben zu den zwei Filmen geschrieben:
Die Musikreihe in kleineren Formaten bot für mich einen Leckerbissen der Extraklasse: die neu restaurierte Fassung (INA, 2025) von Les Grandes Répétitions (Gérard Patris, FR 1968)* * * * *, dem 45minütigen TV-Film aus der von Luc Ferrari konzipierten fünfteiligen Reihe „Les Grandes répétions“, deren andere Folgen den Komponisten Olivier Messiaen, Edgar Varèse und Karlheinz Stockhausen sowie dem Dirigenten Hermann Scherchen gewidmet sind. Ich kannte den Film über Taylor zwar schon, aber in einer alten Überspielung (wohl ab VHS) mit zahlreichen defekten und einer Qualität, dass die Dialoge kaum zu verstehen sind. Die Credits werden im Film gesprochen, ein Interview mit Taylor (in 16mm gedreht) wechselt sich ab mit Szenen einer Probe (35mm, drum eigentlich etwas gemogelt, den Film in die Reihe aufzunehmen, aber ich will mich nicht beklagen!), aufgenommen in einem der Häuser um die noble Place des Vosges in Paris. In einem Palais-artigen Setting spielen Taylor (p), Jimmy Lyons (as), Alan Silva (b, perc – im Film als „Ben Silva“ – die Musiker werden mit Text im Bild genannt) und Andrew Cyrille (d) verschiedene Passagen aus Stücken Taylors, mal strukturierter, mal freier. Im Gespräch gibt es eine Konfrontation. „He doesn’t come from my community“ ist Taylors Antwort auf die Frage, was er denn von Karlheinz Stockhausen halte. Dieselbe Antwort auf die Frage nach Bach. Taylor trägt eine dunkle Sonnenbrille in den sepiagetönten Interviewszenen – die Proben sind in Farbe – und wirkt unlustig, launisch … doch in Kombination mit der Probe zeigt sich seine grosse Sensibilität als Musiker, Gestalter, Komponist, Bandleader. Auf die Frage, was er denn studiert habe, meint Taylor: „The people“. Und seine Community? Das ist diejenige von „the other side of the tracks“, von der anderen Seite der Geleise. Aus der Konfrontation entsteht etwas, der Film ist ein durchaus aussagekräftiges und phantastisch montiertes Portrait geworden, in dem die schnellen Schnitte und Text-Einblendungen (auch als ganze Tafeln, wie man sie von Godard – oder aus dem Stummfilm – kennt) sich der Musik nicht anbiedern sondern eine Art Äquivalent, das zugleich Kontrapunkt ist, herstellen. Grossartig, diesen Film in hervorragender Qualität wieder sehen zu können (in diesem Fall ist, wegen der Musik, DCP gegenüer 35mm wohl wirklich zu bevorzugen, auch wenn eine perfekte 35mm-Kopie sicherlich auch toll gewesen wäre). Weil der Film allein etwas kurz gewesen wäre, gab es danach noch den zweiten Film über Archie Shepp in Algerien, Archie Shepp: We Have Come Back (Ghaouti Bendeddouche, Algeria 1969, 27′)* * * *. „We have come back“ sagt Shepp im Film irgendwann – wir sind zurück gekommen. Das bezieht sich darauf, dass Shepp drei Monate nach der Teilnahme am Pan-African Cultural Festival im Juli 1969 in Algiers erneut nach Algerien reiste und dort mit Touareg-Musikern zusammentraf und -spielte. Das wird im Film dokumentiert, mit Shepp und seiner Combo (Clifford Thornton an der Trompete, Dave Burrell am Klavier, erneut Alan Silva am Kontrabass, Sunny Murray am Schlagzeug … auch dabei ist ein ziemlich toller Baritonsaxophist (ein Weisser oder Maghrebiner?) – und es gibt um den Titel einige Verwirrung (im Katalog heisst der Film „Archie Shepp ches les Tuaregs“, in der Einführung meinte Ehsan Khoshbakht, „We Came Back“ sei der korrekte Titel, im Netz heisst der Film dann – wie Shepp im Film sagt – „We Have Come Back“), aber auch bei den Bildern: das erste Tenorsax-Solo im Bild ist auf der Tonspur nämlich ein Trompetensolo während Clifford Thornton erst viel später zu erkennen ist … ob Grachan Moncur III auch dabei war, kann ich nicht sagen, einen Posaunisten gesehen zu haben, kann ich mich nicht erinnern, vielleicht war er nur beim ersten Besuch im Juli dabei und der Barisaxer dann sein Ersatz? Egal, der Fokus ist auff Shepp (es gibt dasselbe später nochmal, einfach mit Barisax auf der Tonspur und Shepp im Bild), der wilde, überschwängliche Soli spielt (oder sich zu den Soli der anderen auf der Leinwand spielend bewegt), die Band gerät eher aus Versehen ein paar Male ins Bild, die Tuareg-Musiker mit ihren Trommeln und Tänzen sind sehr viel präsenter. Und es gibt eine tolle Szene in der Wüste mit Shepp und seinem Sopransaxophon … und natürlich Bilder der Ankunft, der Begegnung, am Flugplatz, auf Strassen usw. Ein Film mit Fehlern, aber dennoch sehr sehenswert – und natürlich mit phantastischer Musik.
Wegen dem Barisaxer mit Shepp bin ich bisher noch nicht fündig geworden, es gibt bei den üblichen Verdächtigen keine Details. Hier der Eintrag vom Festival zu der Vorführung:
https://festival.ilcinemaritrovato.it/en/proiezione/les-grandes-repetitions-cecil-taylor-a-paris/
Bei IMDB ist der Film gar nicht erst vorhanden … oder ich bin zu doof, ihn zu finden. Ich finde auf die Schnelle (etwas BYG und Marge/Futura durchgeguckt) niemand, der optisch zu dem Musiker passt, der da auf der Leinwand war … ich hätte rasch das Handy zücken und ein Foto machen müssen, aber dann dürfte ich mich ja nicht mehr über die Leute aufregen, die das tatsächlich manchmal taten.
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