Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

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vorgarten

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CHARLES MINGUS PRESENTS CHARLES MINGUS
mingus, dolphy, curson, richmond, hentoff, d’orleans (20.10.1960)

auch wieder eine tolle fügung der listenfolge, denn nach meiner beschriebenen dolphy-euphorie bei entdeckung von coltranes vanguard-aufnahmen bin ich damals tatsächlich erstmal zu dolphy-bei-mingus abgebogen, bevor ich noch mehr coltrane gehört habe (nicht zu dieser band hier, sondern zum pariskonzert der späteren formation dolphy/jordan/byard/mingus/richmond). ich mag ja byard und jordan und auch coles, aber diese knackige 1960er rumpfband ohne harmonieinstrument war dann bei späterer entdeckung schieres ausflipp-material. eine sternstunde der freigeister ohne einen einzigen langweiligen ton. die kanaltrennung (curson & dolphy links, mingus & richmond rechts) mag als idee schräg wirken, aber nat hentoff war ja alles andere als blöd und hat sich dabei natürlich was gedacht: zweimal symbiotisches zusammenspiel in den kanälen, die experimentell zusammengefügt werden, so wie mingus und publikum, das angesprochen wird, aber nichts trinken und nicht applaudieren darf und vielleicht auch gar nicht da ist? die aufnahme ist teil des labors, in dem rassistische gouverneure bekanntschaft mit dem bunsenbrenner machen und afroamerikanische folk-themen eine „opus“-bezeichnung bekommen als wären sie hohe europäische klassik. ich bleibe dabei, dass ich dolphy auf seinen eigenen aufnahmen nie so frei wie hier finde. und dass eine rythm section willkürlich tempo an- und abzieht, ist auch keine erfindung des vijay-iyer-trios. mingus und richmond setzen oft auch einfach aus, weil sich aus stase und bewegung auch wieder feuer erzeugen lässt. mingus‘ sorge, dass die eiswürfel der gäste störende geräusche auf den aufnahmen machen würden, war unbegründet: sie wären eh sofort weggeschmolzen.

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