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Tolle Texte zu den beiden Coltrane-Alben, danke dafür! Zum Museum gleich, aber zuerst eine Nebenbemerkung zu Coltrane im Village Vanguard 1961: Reggie Workman war da noch der reguläre Bassist der Gruppe, Jimmy Garrison der Zuzüger (Ergänzung: Es ist also bemerkenswert, dass Coltrane beide Trio-Versionen von „Chasin‘ the Trane“ mit Garrison aufnahm – dazu gab’s noch zwei im Quartett mit Dolphy, die eine davon mit Roy Haynes statt Jones, beide mit Workman). Danach ging es mit Dolphy und Workman auf grosse Tour durch Europa (u.a. der erste und letzte Besuch Coltranes in Grossbritannien, wo der Empfang „somewhat baffled and hostile“ war, Coltrane Reference, p. 235) und daheim in den USA im Dezember zur ersten „Ballads“-Session bei RVG – immer noch mit Workman, aber anscheinend auch schon mit Garrison, und das ist dann der Moment des Wechsels („Reggie Workman believes the bassist on the originally issued takes from this session […] is Jimmy Garrison […]. However, both Garrison and Workman may have been present for this session, and Workman may be the bassist on some takes […]“, Coltrane Reference, p. 634/5, David Wild hat seine vereinfachte und veraltete Diskographie nicht angepasst, dort steht für die Session weiterhin nur Workmans Name – ich hab die Detailbelege rausgekürzt, einen davon kann ich eh nicht deuten) .
Zum Museum nun: Das ist ja eine Institution, in der zum Glück längst nicht mehr nur „museale“ Dinge anzutreffen sind oder veranstaltet werden. Ich bin im Archiv gelandet, einer Schwesterinstitution vielleicht (mit der Bibliothek als dritter im Bund). Das sind klassische Institutionen des Wissens und Wissenstransfers – und damit der im Jazz so hoch geschriebenen Traditionspflege (all die Sprüchlein mit Asche und Feuer, wer kennt sie nicht) – halt der alten europäischen Art, in einer Tradition stehend, die exklusiv ist: kolonial, rassistisch und selbstredend misogyn. Es geht da auch immer um Macht, es gibt immer eine andere Seite: das, was verborgen wird – sei es, dass es nicht gehängt wird, im Giftschrank verschwindet oder gar nicht erst tradiert wird, weil für nicht bedeutend genug gehalten. In der Geschichtswissenschaft haben sich die Haltungen diesbezüglich wenigstens in Frankreich schon recht früh im 20. Jahrhundert stark verändert und vieles zugelassen, was zuvor undenkbar war (Deutschland war ordentlich verspätet, weil es die besten Köpfe ins Exil schickte oder ermordete oder sie sich einfach gleichschalteten – und an manche Strömungen der Wissensgeschichte hat der dt. Sprachraum nie Anschluss gefunden, das gilt für die kleine Schweiz mit einigen Ausnahmen durchaus auch). In den Museen hat das länger gedauert, wie wir ja tagtäglich an den vielen Debatten dazu sehen können (in den Archiven natürlich auch, aber es gibt längst auch viele wichtige Archive, die Arbeiter*innen, Frauen und viele weitere Gruppen dokumentieren, die in den offiziellen Institutionen zu kurz gekommen sind, und diese „Gegenarchive“ gehören unbedingt mit dazu).
Langer Rede kurzer Sinn: „museal“ mag ich da gar nichts nennen (erst recht nicht Ellington bitte, auch nicht als Frage gestellt), aber solche Alben als „Museum“ zu betrachten, gefällt mir von der Idee her (wie @redbeans sie oben beschreibt) eigentlich gut. Bloss mag ich eigentlich Museen als Orte und Räume nicht so wirklich – weil eben oft bis heute viel zu viel davon auf die eine oder andere weise buchstäblich „kontaminiert“ ist (das Wort gehört zum Kunsthaus Zürich seit Aufnahme der elenden Bührle-Sammlung fix als Attribut dazu, bis da endlich eine seriöse Aufarbeitung/Provenienzforschung betrieben wird und vielleicht auch danach noch … und so ist das bei vielen Museen; über aussereuropäische Kunst – die Kehrseite der Neugierde ist der Exotismus – brauchen wir gar nicht anfangen … und klar, das ist alles super ambivalent, solche Museen mag ich am Ende auch als Räume oft am liebsten, vielleicht gerade, weil sie einen Ausbruch aus „unserem“ Kanon erlauben?). Lang und kurz schrieb ich? Die kompletten Africa/Brass Sessions auf zwei oder die gesammelten Village Vanguard Aufnahmen auf vier CDs sind vielleicht das Archiv, das sich neben oder hinter das Museum gesellt … und da fühl ich, das wissen hier ja alle, oft willkommener und wohler als im Museum – aber fürs erhabene Staunen ist natürlich das Museum der richtige Ort. (So gesehen hat es schon seine Richtigkeit, wo ich gelandet bin )
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba