Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Zum Morgen etwas West Coast Jazz mit dem Chamber Jazz Sextet, das aus Leuten besteht, die mir zum grössten Teil nicht bekannt sind: Allyn Ferguson (p, elp, frh, perc), Robert Wilson (t, perc), Frank Leal (as, bcl), Modesto Briseno (cl, ts, bari), Fred Dutton (b, bsn, contra bsn), Tom Reynolds (d, timp). Anfang 1957 aufgenommen und bei Cadence erschienen, dem Label von Albert Marx (der auch hinter Discovery steckte, den Back-Katalog von Trend kaufte, wo dann bis 1990 auch Discovery-CD-Reissues herauskamen – bis Marx 1991 starb und das wohl alles abbrach). Hier gibt es wirklich all die Instrumente, also auch mal ein Stück mit Kesselpauken statt Drums, viele sich umrankende Linien mit einer verspielten, praktisch immer mit Dämpfer gespielten Trompete, die einen ebenso attraktiven Ton hat wie das Altsax von Frank Leal. Etwas bekannter sind der Mann am Tenor, Modesto Briseño, der u.a. mit Kenton gespielt und auf „Back to Avalon“ von Teddy Edwards zu hören) und derjenige am Bass(oon), der auf ganz frühen Aufnahmen des Dave Brubeck Quartet zu hören ist, später bei Joe Castro und auch als Woodwinds-Spieler auf einer der Sessions zu „The Individualism of Gil Evans“ auftaucht, aber seine Hauptjobs waren sowas wie Si Zentner und Harry James, mal eine Session mit Cal Tjader oder Perez Prado etc und 1959 war er mit diesen Leuten um Oscar Pettiford in Europa. Es gibt hier also typische Arrangements mit Klassik-Anleihen, sogar eine dreiteiliges „Sextet for Contemporaries“, aber eben auch viel Abwechslung, und tatsächlich sogar ein elektrisches Piano (das eher wie eine billige elektrische Orgel klingt, finde den Track leider nicht in der Tube, „Blue Winds“ ist es). Blutarme Sax-Soli gibt es natürlich auch, aber alles in allem ist das für meine Ohren attraktiver als so manches, was ähnliche Nischen ausforscht.

Auf dem Fresh Sound CD-Twofer gibt es dazu noch ein Album, auf dem das Sextett den Dichter Kenneth Patchen begleitet. Das alles hatte damals einen kurzen Moment, als Poetry & Jazz blühte in San Francisco (Fantasy nahm Allen Ginsberg, Gregory Corso, Lawrence Ferlinghetti [der 1957 auf vor Gericht stand wegen Obszönität, weil er Ginsbergs „Howl“ herausgebracht hatte – ein Blick in unsere Zukunft?] und andere auf, anderswo erschienen Alben von Jack Kerouac – oft wurde dazu etwas Jazz gespielt, gelegentlich tauchen da halbwegs bekannte Namen auf). Auf dem Album liest Patchen mit müder Stimme und dahinter wird die Musik auch mal allmählich ausgeblendet. Das ist dann echt nichts, was ich öfter anhören müsste … ich glaub das einzige aus der Ecke, was ich schon dutzende Male angehört habe, sind die Sachen von Mingus, und da besonders „The Clown“.

Hier gibt es einen sehr ausführlichen Text zu Modesto Briseño, in dem Allyn Ferguson und das Chamber Jazz Sextet auch ausgiebig dokumentiert werden:
https://jazzresearch.com/modesto-briseno-jr/
Da gibt’s auch ein Foto von Stars of Jazz 1958, wo das E-Piano zu sehen ist.

Für sein Big Band-Album mit einer eigenen Bearbeitung von Mussorgsky „Bilder einer Ausstellung“, „Pictures at an Exhibition Framed in Jazz“, hatte Allyn Ferguson dann eine Band, die v.a. in der Sax-Section klingende Namen bietet: Paul Horn ist der Hauptsolist hier, neben dem Altsax und der Flöte auch an Bassflöte (im Intro zu „The Old Castle“ etwa) und Piccolo (in Ballet of the Unhatched Chicks“), neben ihm sassen bei den Sessions Bud Shank, Bill Perkins, Jack Nimitz und Bill Hood (eine as-2ts-2bari Section, Hood auch am Bass-Sax, Nimitz an der Kontrabassklarinette und Shank/Perkins an ts/cl/fl). John Pisano und Howard Roberts, Don Bagley und Frank Capp sind dabei, und einige bekannte Session-Leute (Stu Williams, Ollie Mitchell, Bob Edmondson, Kenny Shroyer usw.) – das Album erschien 1963 und 1980 gab es bei Discovery ein Reissue … warum es bei Solid in Japan Anfang Jahr in der Mainstream Records Master Collection auch auf CD aufgelegt wurde, weiss ich nicht – aber ist am Ende auch egal, denn Spass macht es eh. Kann man auch mal in der Tube hören. Blutarm ist hier gar nichts, auch wenn es natürlich Passagen gibt, die ähnlich wie beim ersten Album arrangiert sind – aber das basiert wohl alles auf Mussorgsky und funktioniert wirklich hervorragend.

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