Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert › Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert
@gypsy-tail-wind: danke, die irritation teile ich natürlich.
63
SIN & SOUL
brown jr., butterfield, wilder, solde, bodner, levinsky, levister, leighton, morris, cernett, arnone, barksdale, carroll, duvivier, benjamin, rosengarden, devens, johnson, francis, hamm, ? (jun/aug/oct 1960)
sehr viel bruststimme hier. und eine deutlichere form des rollenspiels. brown jr. entwickelt figuren aus der afroamerikansichen erfahrung heraus, er nimmt jazztracks und betextet sie, hat eine funktional-hippe riege aus studiomusikern an die seite bekommen und verdichtet sozialkommentare aus figurenperspektive (gefangener und verkaufter körper, melonenverkäufer und lumpensammler, schnorrer und mensch aus der zukunft) in verschiedenen stimmen auf knackige singlelänge. das hat großes selbstbewusstsein und war bestimmt eine kleine herausforderung für columbia (das merkwürdige zweiteilungsmanöver in eine „sin-“ und eine „soul“-seite macht nicht so viel sinn, von wessen sünde soll hier die rede sein?). brown singt zwar von liebe, trübsal, arbeit, sex, aber er verkauft das nicht als allgemein-menschliche, sondern als sehr konkret-besondere erfahrungen. das sklaven-auktions-reenactment („bid ‚em in“, das wird bei matana roberts wieder auftauchen) sitzt schwer zwischen den community-songs, nicht unähnlich „strange fruit“ auf LADY SINGS THE BLUES. danach kann man nicht mehr anders, als einen rahmen gesetzt zu sehen. dazu kommt die praxis des signifying, die das problem (rassimus) nicht offen anspricht, aber im kreativen spiel der rollen immer wieder umkreist. manchmal vermisse ich das „eigentliche“ auch der stimme, kriege brown nicht recht zu fassen zwischen schärfe und jovialität, aber genau das ist das spiel, glaube ich.
--