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ONCE UPON A SUMMERTIME
dearie, lowell, brown, thipgen, granz, dearie, ? (12.&13.9.1958)
schöner zufall, dearie gleich nach evans zu hören, der ja ihren pianistischen einfluss zugegeben hat. über ihr klavierspiel spricht man ja sonst eher selten, obwohl es ihr primärer zugang zum jazz war und sie in interessante kreise gebracht hat: legrand (noch in paris), gil evans, miles davis, über comden & green dann bernstein. karriere machte sie als sängerin, und da muss man die zeit mitlesen: ihre kopfstimme als „mädchenhaft“ entschärft, eine frau ohne unterleib, die den himmel noch auf der schultafel abtastet und im ABC die liebe sucht – nichts davon hat wirklich funktioniert, und ihr produzent norman granz hat das verstanden. eine intelligente frau darf mit kopfstimme (und brille, die ja irgendwie doch auch aufs cover durfte) singen und trotzdem viel über sex wissen, ihr material selbst auswählen und arrangieren, die doppelbödigkeit der silly tunes als rollenspiel aufführen, in dem alle wissen, dass das leben komplizierter ist als diese worte es transportieren („teach me tonight“). miles davis, der ja über so blöde schubladen stets hinwegschauen konnte, hat dearie einfach „soul“ zugestanden, weil sowas eben nichts mit kopf- oder bruststimme zu tun hat.
das album kommt sehr selbstverständlich daher, mit einer band, die am ball ist und auch weiß, dass es der leaderin trotz des materials um jazz geht. da ist dann auch mal zeit für ein bass-solo. und für einen agilen modernen ausdruck, der sehr gut zum geist der arrangements passt: großartig langsame versionen von „tea for two“ und „manhattan“, eine rasend schnelle von „down with love“, man hört die songs ganz neu, auch durch die interessante akkordbegleitung, bei der bill evans fündig werden konnte, wobei das hier vielleicht schon wieder umgekehrt lief. das klavierspiel geht zur band, die stimme ins mikrofon. und das new york der frühen 60er, in dem viele schichten übereinander lagen, hatte einen leichten sound, der über nichts hinwegtäuscht.
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