Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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So sehen die beiden CDs mit den drei Alben von Red Callender aus, die @redbeans gerade auch gehört hat. Das dritte, „The Lowest“, ist auf beide CDs als Bonustracks verteilt (die kame 2007 heraus, da war Fresh Sound noch nicht so eifrig im sinnvollen kombinieren wie es in den letzten Jahren geworden ist, sonst hätten sie zwei Twofer gemacht und dafür noch ein viertes passendes Album gesucht, was von Callender mit Erroll Garner oder „Polynesia“ von Buddy Collette oder was weiss ich).

Das erste Album, Red Callender and His Modern Octet – Swingin‘ Suite (Metrojazz 1955), ist wirklich gut – ich hör hier schon bisschen mehr als nur „feat. Buddy Collette“, auch wenn der schon der überragende Solist ist. An Sims denke ich nicht direkt, eher an die anderen Westküsten-Tenorsaxer (Kamuca, Moore und so), Collettes Ton klingt weicher, runder (auch näher an Cohn als an Sims), aber sein Swing und Drive sind dem von Sims schon vergleichbar! Altsaxer William Green kriegt man auch öfter zu hören, auch manchmal direkt vor und nach Collette – der hat wiederum einen eher schweren Ton, sodass man das bei weniger aufmerksamem Hören (was ich niemand unterstellen will, mir könnte es allerdings definitiv so ergehen) alles für einen Solisten halten könnte. Die Spots von John Ewing (tb) und Harry „Parr“ Jones (t) sind seltener, aber im Ensemble haben sie alle ihre Rolle, genau wie Clyde Dunn (bari) und der für mich altbekannte Eddie Beal (p) (der mit Jahrgang 1910 da schon ein echter Veteran war … von Beginn weg in Callenders Band eigentlich, wobei der ja nur sechs Jahre jünger war – Beals zwei Jahre ältere Bruder Charlie Beal sass in den mittleren Vierzigern am Klavier, als Red Callender mit Louis Armstrong spielte) sowie Bill Douglass (d). Bongos gibt es auch mal noch, gespielt von Frank Bodde (bei Douglass fehlt in den Liner Notes der LP das zweite „s“, bei Bodde das zweite „d“). Ich finde das alles recht interessant – irgendwie findet die Central Avenue mit dem 1955 gerade im grossen Stil aufkommenden hauptsächlich weissen West Coast Jazz zusammen … aber es bleibt eine andere Tönung, vielleicht kann man die Band von Benny Carter (dessen Schreiben für Saxophone vielleicht auch bei der Band von 1951752 eine Rolle gespielt hat?) und andere ältere Big Bands heraushören in der Arbeit von Callender, dessen Bass auch hier wieder dunkel klingt und sehr stark ist. Vielleicht wird hier auch der Basie-Einfluss nochmal etwas anders verareitet als bei den weissen Combos? Da kann man die Linie zu Mingus auch wirklich ganz direkt ziehen: Callender setzt jeden Ton genau richtig und selbst in einer Ballade wie dem wunderschönen Album-Closer gibt er der Musik einen unglaublichen Drive.

Mit Callender Speaks Low (Crown, 1956) sind wir dann irgendwo zwischen West Coast Jazz, einem auch im Third Stream gut vorstellbaren Band-Sound (es werden aber nur Jazz-Klassiker und ein paar Originals gespielt, ohne offensichtliche Klassik-Anleihen) und der Tuba-Band von Miles Davis angekommen … Callender trifft auch nicht ganz jeden Ton, doch neben ihm trägt Ray Draper auf den bekannten Alben von 2-3 Jahren später noch kurze Hose. Dass Collette nur Flöte und Klarinette spielt, zweimal für den Effekt noch ein Horn (Irving Rosenthal) dazu kommt, dafür die Gitarre von Bob Bain die andere wichtige Solo-Stimme wird, gibt dem ganzen aber schon einen eigenen Sound. Wie gut man das am Ende findet, ist sicher auch eine Geschmackssache – mich spricht das weniger an als das erste Album, aber es ist schon gekonnt gemacht, hat einen ganz eigenen, offenen und sparsamen und doch warmen Sound mit einem klaren Konzept dahinter – und eine gute Rhythmusgruppe, die allerdings die meiste Zeit sehr im Hintergrund bleibt (Red Mitchell und wieder Douglass). Callenders Können als Arrangeur sticht da längst heraus. So gesehen durchaus schade, dass er sich in den Fünfzigern nicht stärker als Leader etablieren mochte oder konnte.

Das dritte Album, The Lowest (Metrojazz,  1958), hat Fresh Sound zerstückelt. Auf „Speak Low“ gibt es vier im Septett mit Callender an der Tuba (das ist die Klammer bzw. der Reissue-Programmierungsentscheid: eine CD mit Tuba, eine mit Bass) , auf „Swingin‘ Suite“ die sieben restlichen Stücke der LP mit dem Leader am Bass: drei von einem Oktett, einen von einem Quartett und zuletzt ein Sextett-Stück, das vom ersten Tag stammt, als das Septett im Studio war. Nunja, wie redbeans auch finde ich das das am wenigsten gelungene der drei Alben. Der kompakte Sound ist dahin, weil Gerald Wiggins am Klavier zur Gitarre (Billy Bean) stösst, die Bläser sind Gerald Wilson (t), Callender (tuba), Collette (fl), Mitchell und Douglass sind wieder dabei (Septett, 30.4.1958), beim Sextett fehlt dann einfach Mitchell und Callender übernimmt den Kontrabass („Five-Four Blues“, auch 30.4.1958). Am Tag drauf waren im Oktett andere Leute dabei, dafür gibt’s eine satte Frontline und eben: keine Tuba mehr. Wilson (t), Ewing (tb), Hymie Gunkler (as), Collette (ts), Marty Berman (bari), Beal, Callender, Douglasss. Im Quartett kriegen wir dann Collette (fl/picc), Bill Pitman (g), Callender und Douglass (die zwei Line-Ups sind dann vom 1.5.1958). Wilson ist natürlich gut, wie immer, Bean ist auch eine Spur interessanter als Bain (der aber schon recht gut ist), und klar: Collette am Tenorsax – das Oktett knüft auch wirklich gut an „Swingin‘ Suite“ an, sind ja sogar neben dem Leader vier derselben Leute wieder mit dabei – dann auch wieder ein Highlight (ich mag sein Flöten- und Klarinettenspiel bei Hamilton ja echt gerne, aber hier ist er mir zu oft nur eine Klangfarbe oder kann sich nicht den nötigen Raum nehmen). Auch Posaunist Ewing hat 1958 wieder ein paar gute Momente. Gunkler war wie der Lead-Saxer der Tanzband von Jerry Fielding (wo Collette am ts auch dabei war, ebenso Callender und auch Wiggins). Das Piccolo-Stück ist „Pickin‘, Pluckin‘ and Whistlin‘ and Walkin'“ und das gefällt mir tatsächlich auch sehr gut. Insgesamt wollte man da vermutlich einfach etwas zuviel, mit den ganzen wechselnden Line-Ups und Instrumentierungen … eine Art grosses Callender-Showcase, das halt etwas zerfällt.

Das beste der Alben ist auch für mich das erste von 1955. Vom Konzept her ist das mittlere Album sicherlich das speziellste, da hätte vielleicht die eine oder andere Umbesetzung geholfen, v.a. ein aktiverer, stärker melodisch denkender Drummer (Douglass gibt einfach die Time und tut sonst wirklich kaum was) – Chico Hamilton läge auf der Hand – und eben doch eine etwas vielseitigere Gitarre, wie Callender sie damals von Jim Hall im Hamilton Quintet kannte vielleicht? Aber gut, auch so ein schönes Album.

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